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Shark Info   (15.02.1999)

Author

  Intro:

Haiunfälle oder Haiangriffe 2/2

Dr. E. K. Ritter

  Hauptartikel:

Welche Haiarten sind überhaupt gefährlich?

Dr. E. K. Ritter

  Artikel 1:

Das Global Shark Attack File (GSAF)

Marie Levine

  Fact Sheet:

Die Biologie des Riesenmaulhais

Dr. J. F. Morrissey


Das GLOBAL SHARK ATTACK FILE

Von Marie Levine

Das «Global Shark Attack File» (GSAF) gehört zu den wenigen grossen Datenbanken, die dem weit verbreiteten Missverständnis über das angeblich blutrünstige Verhalten des Hais entgegenwirken. Um den Hai zu entmystifizieren und das «JAWS-Image» abzubauen ist es notwendig, möglichst viele exakte Daten über Haiangriffe zusammenzutragen und zu veröffentlichen. Die Datenbank wird vom «Shark Research Institute» (SRI) mit Hauptsitz in Princeton, New Jersey, USA, unterhalten. Das GSAF dokumentiert mehr als 2'500 Unfälle von Tauchern, Surfern, Schwimmern und Fischern und basiert auf einem Netzwerk von Sachbearbeitern, die weltweit Haiangriffe untersuchen. Obwohl im GSAF auch Unfälle vermerkt sind, die bis zum Jahr 1501 zurückreichen, werden heutige Angriffe möglichst vollständig untersucht.

Im Folgenden wird die Methodik dargestellt, wie das GSAF heutige Haiunfall-Berichte erstellt.

Felduntersuchungen

Wenn immer möglich werden die Wunden des Opfers noch vor der Operation fotografiert. Normalerweise geschieht dies im Operations- oder im Vorbereitungsraum durch das medizinische Personal oder durch GSAF-Mitarbeiter. Solche Fotos sind zur Rekonstruktion des Unfallherganges und für die Suche nach der involvierten Haiart unerlässlich. Röntgenassistenten und Ärzte werden aufgefordert, nach Zahnfragmenten des Hais zu forschen. Solche können die Bestimmung der beteiligten Haiart erleichtern. Schliesslich wird die Wunde vermessen, inklusive der Abstände zwischen den einzelnen Zahnabdrücken.

Das Opfer wird so früh wie möglich nach dem Unfall von GSAF-Mitarbeitern kontaktiert und interviewt. In einem ersten Fragebogen werden die Wahrnehmungen des Opfers über Umweltbedingungen, Verhalten des Hais und zu möglichen unfallbegünstigenden Faktoren aufgenommen. Da aber viele Hai-Opfer unter Gedächtnislücken zum Unfallhergang leiden - ähnlich wie Opfer von Autounfällen und anderen traumatischen Erlebnissen - wird zu einem späteren Zeitpunkt ein zweites Interview durchgeführt. Dies aber erst dann, wenn sich das erste emotionale Trauma gelöst hat, alle Unfallbeteiligten interviewt wurden und die Daten analysiert sind. Es werden auch alle in den Unfall verwickelten Personen - wie z. B. Augenzeugen, Sanitäter, Rettungsschwimmer, Polizisten, Strand- und medizinisches Personal - aufgesucht und befragt.

Am Unfallort werden Umweltdaten - wie Wassertemperatur, Sichtweite, Gezeitenhub, Salzgehalt des Wassers und Strömung - aufgenommen. Der Unfallort wird fotografiert, und die zum Zeitpunkt des Unfalls vorgefundenen Umweltfaktoren, die mit dem Unfall möglicherweise zu tun haben, aufgelistet. Dabei können Delphine, Seehunde oder andere Meeressäuger eine wichtige Rolle spielen sowie alle aussergewöhnlichen Aktivitäten von Fischen und Vögeln. Wichtige Zeugen für die Seebedingungen zum Unfallzeitpunkt sind auch ortsansässige Sport- und Berufsfischer.

Damit sind die Untersuchungen aber noch nicht abgeschlossen. Nun werden eventuell vorhandene Abwässer von Kläranlagen aufgelistet, die Nähe von Flüssen und Kanälen inklusive deren Wasserstand. Bei den lokalen Meteostationen werden die Wetterdaten ab ca. einer Woche vor dem Unfalltag eingeholt. Die Unfallstelle wird häufig auch durch Unterwasseraufnahmen dokumentiert.

Auch alle Gegenstände rund um den Unfall werden zusammengetragen, wie vom Hai zerbissene Surfboards sowie Nasstauch- oder Badeanzüge. Diese Gegenstände werden sehr sorgfältig behandelt und dem Opfer nach Abschluss der Untersuchungen zurückgegeben. In einigen Fällen wurde dem SRI allerdings erlaubt, vom Hai zerbissene Surfbretter zu Ausbildungszwecken zurückzubehalten. In den seltenen Fällen, bei denen es gelang, den Hai zu fangen, werden Untersuchungen zu anatomischen, physiologischen und biologischen Anomalien durchgeführt.

Auswertung der Daten

Die Auswertung umfasst auch die Analyse von Wetter-, ozeanographischen und Umweltdaten. Die medizinische Auswertung beschreibt das Ausmass der Verletzungen und die Behandlung des Opfers durch Rettungsmannschaft und Ärzte. Bei einem tödlichen Ausgang befinden sich diese Daten üblicherweise im Autopsie- oder Untersuchungsbericht. Die Erläuterungen können durch den zuständigen Arzt gemacht werden. Für weitere Untersuchungen ist die Einwilligung des Opfers notwendig. Diese Einwilligung ist auch im Fragebogen der GSAF enthalten.

Aufgrund der Verletzungen des Opfers werden Art und Grösse des beteiligten Hais bestimmt.

Gegenstände

Manchmal zerbeisst der Hai während des Ereignisses weitere Gegenstände. Diese können möglicherweise Teile von Zähnen oder des Kiefers enthalten. Die Auswertung dieser Gegenstände umfasst das Vermessen der Länge, Breite und Dicke sowie das Ausmass und die Position des Bisses. Dabei werden auch die Abstände zwischen den Zentren der einzelnen Zahnabdrücke und die Lücken zwischen den Zähnen vermessen.

Bretter

Bei Surfboards, Paddelskis oder Körperboards werden Farbe und Musterung der Ober- und Unterseite, Farbe und Position der Finne und die Farbe der Fussleine festgehalten. Das Brett wird fotografiert, inklusive Nahaufnahmen des Bisses zusammen mit einem Messband oder einem forensischen Zahnmuster. Mittels einer Lichtquelle hinter dem Brett können Details des Bisses hervorgehoben werden.

Grosse Zahnteile in der Wunde oder im Surfboard findet man mit Röntgenstrahlen. Dabei besteht die Möglichkeit, kleine Fragmente zu übersehen. Für Zahnfragmente unter 1 mm wird - wie bei Mammographien - die Xero-Radiographie eingesetzt. Mit langen Öffnungszeiten und geringer Leistung können so hohe Auflösungen erreicht werden. Dadurch werden auch kleine Unterschiede zwischen Objekten mit geringen Dichten sichtbar.

Erst jetzt wird das Board nach Zahnfragmenten abgesucht. Dabei ist die Form der Zahneindrücke für die Beschreibung der Haiart sehr behilflich. Auch Stellen des höchsten Bissdruckes können nachgewiesen werden, da der Schaumkern an diesen eine veränderte Durchlässigkeit für Röntgenstrahlen aufweist. Dieser Vorgang erfordert längere Öffnungszeiten als die Mammographie, doch ist dies bei nicht lebenden Objekte nicht weiter schädlich. Nach einigem Experimentieren fanden wir heraus, dass geringe Strahlung (30 kvp) und eine Öffnungszeit (200 - 240 mAs) die besten Resultate ergaben.

Xerographie

Xero-Radiographie eines Surfbrettes mit einem Bissabdruck eines Weissen Haies. Die dreieckigen Abdrücke der Zähne sind durch Pfeile markiert.

© Shark Info / GSAF

Schliesslich wird mit einer stumpfen Sonde die Länge, Breite und Tiefe der Zahnabdrücke vermessen (eine spitze Sonde würde die Zahnabdrücke durchdringen und falsche Messungen liefern).

Nass-Tauchanzüge

Bei Nassanzügen werden wie bei den Boards Farbe, Musterung und Dicke festgehalten und fotografiert. Dabei kann die Ermittlung der Breite des Haibisses ein Problem darstellen, da während des Angriffs das Bein möglicherweise verdreht worden ist. Wird nun das Beinteil gestreckt, schliesst man fälschlicherweise auf einen zu grossen Hai. Die Messung der Abstände zwischen den Zentren der einzelnen Zahnabdrücke sowie die Lücken zwischen den Zähnen und die Messung des Bissbogens sind nutzlos, wenn sie nicht gleichzeitig mit einer Vergleichsperson derselben Grösse, Gewicht und Statur kontrolliert werden. Diese Vergleichsperson muss den Anzug, die Handschuhe oder Füsslinge anziehen und dieselbe Position wie das Unfallopfer einnehmen.

Rettungsschwimmer, Rettungsmannschaften und Spitalpersonal müssen nach dem Schaden am Anzug befragt werden (Ausnahme: normale Abnützung). Oft wird der Nassanzug von den Rettern nicht entfernt, da er als Druckverband Verwendung findet und Klammern über der Wunde angebracht werden. Solche Klammern können den Anzug aufreissen und die Risse ähneln dann oberflächlichen Bissen. (Auch bei Autounfällen wird das Opfer nicht notwendigerweise aus dem Auto geborgen, sondern es wird umgekehrt das Auto vom Opfer entfernt. Ähnlich bei Haiunfällen: Der Anzug wird vom Opfer weggeschnitten. Solche Schäden können deshalb leicht mit vermeintlich vom Hai stammenden Rissen verwechselt werden!) Viele Meerforschungsstationen unterhalten Sammlungen von Haigebissen, die nach Art, Gesamtlänge, Gewicht und Geschlecht katalogisiert sind. Sobald der Kiefer vermessen ist (z. B. anhand des Surfboards), die Abstände zwischen den Eindruckstellen und die Haiart bekannt sind, wird es möglich, Rückschlüsse auf Grösse und Gewicht des beteiligten Hais zu ziehen.

Berichterstattung

Dies ist die letzte Phase jeder Untersuchung. Die Unfall-Ergebnisse werden in standardisierter Form abgefasst, um Wissenschaftern die Identifizierung allgemeiner Faktoren und der Hai-Verhaltensmuster zu erleichtern:

  1. Ort und Datum des Unfalls (Längen- und Breitengrad, Distanz zu Referenzpunkten, z. B. Ortschaften).
  2. Name und Körperbeschreibung des Opfers inklusive Kleider und Schmuck sowie Geräte, die vom Opfer benutzt wurden, einschliesslich Harpunen und Surfboards.
  3. Generelle Angaben zu Wetter, Wasser und Umweltfaktoren zum Zeitpunkt des Unfalls. Vermerkt werden auch Distanz zum Ufer, Zeitpunkt des Angriffs, Wassertiefe und Position des Opfers. Die Angaben werden ergänzt durch Skizzen des Unfallorts mit Angaben über Strand, Kanäle und Gesteinsformationen.
  4. Ablauf des Unfalls in erzählender Form. Der Text umfasst auch die subjektiven Eindrücke des Opfers sowie Augenzeugenberichte.
  5. Beschreibung der Verletzungen durch den Arzt, der das Opfer entweder im Trauma-Zentrum oder im Operationsraum behandelte. Wenn Surfboards oder andere Gegenstände zerbissen wurden, werden auch diese Schäden beschrieben. Skizzen über Ort und Ausmass der Verletzungen des Opfers sowie Nahaufnahmen (Fotos) des Bisses und der Wunden ergänzen die Beschreibung.
  6. Beschreibung der Ersten Hilfe und der medizinischen Versorgung einschliesslich verabreichter Antibiotika.
  7. Beschreibung des Ablaufs der Unfalluntersuchungen. Diskussion und Analyse dieser Daten, Skizzen der Biss-Schäden als Referenz für spezielle Beschreibungen.
  8. Schlussfolgerungen.
  9. Anhang. Dieser Abschnitt umfasst Namen, Adressen und Telephonnummern des Opfers und aller an der Untersuchung beteiligten Personen. Ablage der Dias in archivierbarer Form. Fotos werden aufgezogen und zur Archivierung mit Folien geschützt. Aufbewahrung der Negative in säurefreien Umschlägen. Beigelegt werden auch die Photokopien aller medizinischen Berichte, meteorologische und ozeanographische Daten, ausgefüllte Fragebogen, Medienberichte und alle weiteren Informationen zum Unfall (auch wenn sie zum Zeitpunkt der Verfassung des Berichts als unwichtig erschienen).

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* Marie Levine ist Leiterin des Shark Research Institute in Princeton und ist verantwortlich für das Global Shark Attack File.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Marie Levine



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modifiziert: 04.06.2016 11:48