Von Dr. Todd E. Hopkins
Während
der über 400 Millionen Jahre ihrer Evolution kannten die Haie fast nur einen Feind
grössere Haie. Kleine und neugeborene Haie sind besonders gefährdet. Um zu vermeiden, dass
ihre Jungen grösseren Haien zum Opfer fallen und wegen des reichen Nahrungsangebotes, schwimmen
Haiweibchen am Ende ihrer Schwangerschaft zurück in die flachen Buchten in denen sie geboren
wurden. Dort bringen sie, im geschützten Flachwasser, ihre Jungen zur Welt. Diese
Hai-«Kinderstuben» sind für grössere Haie schwer zugänglich und somit ein
sicherer Hafen für die Haibabys aber auch andere, kleine Haiarten.
|
Junger Hai auf Futtersuche im Flachwasser.
© Shark Info
|
|
Oft kann man die Jungen dabei
beobachten, wie sie entlang des Ufers, nur etwa einen halben Meter unter der Wasseroberfläche
nach Futter kleinen Fischen und Krebsen suchen. Werden die Jungen grösser, dehnen
sie, auf der Suche nach grösserer Beute, ihr Territorium auch in tiefere Regionen aus. Geht es
auf ihren ersten Winter zu, wandern die jungen Haie meistens in Regionen ab, in denen sie reichere
Beute oder wärmeres Wasser finden. Der grösste Teil aller Haiarten, grosse wie kleine Arten,
leben auf oder entlang der Kontinentalsockel, oft nur in einem Bereich von ca. 10 km von der
Küste entfernt.
Haie gehören zu den
erfolgreichsten Wirbeltieren der Meere und die Wahl ihrer Kinderstuben unterstützte dabei ihren
Erfolgszug. Doch gerade diese Wahl der flachen Küstengebiete als Kinderstuben kann heute ein
Grund für ihren Untergang werden, denn der Mensch entwickelte sich mit der Zeit zur
zerstörerischten Kraft, die je in der langen Geschichte der Haie ihre Kinderstuben bedrohte. Fast
60% aller Menschen leben im Umkreis von nur 60 km von der Küste entfernt. Die
«Entwicklung» ganzer Küstenstriche und die Veränderung von Wasserscheiden haben
die für Haiweibchen und ihre Jungen so wichtigen Lebensräume entweder zerstört oder
irreparabel verändert. Wir entziehen den Flüssen ihr Wasser für Trinkwasser,
Landwirtschaft und Golfplätze. Wir benutzen sie als billiges Transportmittel um unsere
Abfälle und industrielle Schadstoffe ins Meer zu leiten. Wir ruinieren die Wasserqualität,
wir reduzieren den Wasserzufluss und wir verändern die natürlichen Zyklen, in denen das
Wasser in die Flussmündungen und Buchten fliesst.
Über 400 Millionen Jahre der Evolution haben die Haie geprägt. Doch gerade
diese lange und bisher sehr erfolgreiche Entwicklungsgeschichte macht es den Haien schwer, sich an die
Veränderungen anzupassen, die in den letzten paar Jahrhunderten eintraten. Was über
Jahrmillionen entwickelt wurde soll plötzlich schlecht sein? Eine derartige Flexibilität hat
bis heute nur der Mensch entwickelt.
Haie sind ein
integrierter, überlebenswichtiger Bestandteil des Ökosystems unserer Küsten. Als Top-
und Superräuber kontrollieren sie die Häufigkeit und das natürliche Gleichgewicht der
Fischbestände. Natürliche, unverschmutzte Lebensräume, speziell die Kinderstuben, sind
die Grundvoraussetzung für die Fortpflanzung, gesundes Wachstum, Wanderungen und generell das
Überleben der meisten Haiarten.
Doch selbst wenn
Haie in natürlich belassenen, unverschmutzten Kinderstuben aufwachsen, droht den Populationen
Gefahr, denn viele Haiarten unternehmen Wanderungen. Auf ihren Wanderungen können sie
verschiedene politische Grenzen und nationale Fischfang-Zonen mit oft ganz unterschiedlichen
Fangvorschriften durchqueren. Werden Junge in einem Land geboren, kann es gut sein, dass sie als
jugendliche oder ausgewachsene Haie auf ihrem Weg durch Gewässer eines anderen Landes gefangen
und getötet werden. Dies kann zu einem starken Rückgang von eigentlich geschützten oder
ungefährdeten Populationen führen. Derartige Mechanismen konnten in den achziger Jahren, wie
von Terry Walker (1996) und Robert E. Hueter (1998) beschrieben, entlang der Küste Natals,
Südafrika, und an der Golfküste von Florida beobachtet werden. Port Phillip Bay in
Australien ist ein weiteres trauriges Beispiel für eine wahrscheinlich irreversible Dezimierung
einer Haipopulation. In den Jahren um 1940 wurden Hundshaie, Galeorhinus zyopterus, (ihr
englischer Name «soupfin shark» bedeutet auf Deutsch Suppenflossen-Hai; Anm. d. Red.) sehr
stark von lokalen Fischern befischt. Zwischen 1942 und 1944 verdreifachte sich die Menge der
gelandeten Hundshaie. Doch kurz darauf brachen die Fänge zusammen, woraufhin die restlichen
Bestände durch eine neu eingeführte Mindestfanglänge geschützt wurden. Seit damals
fangen die Fischer von Port Phillip Bay nur noch selten einen Hundshai und das Victorian Fishery
Institute schätzt, dass die Hundshai Population der Bay auf gerade noch 25% der Bestände von
1920 geschrumpft sind, vor Beginn der Fischerei.
Wie
können wir sicherzustellen, dass die Kinderstuben der Haie nicht zerstört und deren
Bestände nicht weiter gefährdet werden? Eine Möglichkeit besteht darin, zerstörte
Uferregionen in ihren natürlichen Zustand zurückzuversetzen und zu schützen. Wir
müssen Abgeordnete davon überzeugen, den Verlust von Uferzonen zu stoppen und gewisse
Regionen als Parks und Naturschutzgebiete für Fische und Haie zu deklarieren. Der Raubbau an den
Haibeständen und muss so schnell als möglich beendet werden und es muss sichergestellt
werden, dass die Regionen erhalten bleiben, in denen Haie und Fische leben, wandern und sich
fortpflanzen. Regierungen müssen davon überzeugt werden, dass eine ökologisch
orientierte Haltung auch ökonomisch sinnvoll ist. Sie müssen bereit sein, das Risiko einer
Politik zu tragen, die im Zweifelsfall, auch ohne grossangelegte Studien, für die Umwelt
entscheidet. Im Zweifelsfall ist jeder Meter Küste schützenswert.
Es wird nicht einfach sein, denn die Revitalisierung von
Küstenregionen ist teuer, doch nicht unbekannt. Im südwestlichen Florida kaufte die
Regierung 280'000 Hektar der westlichsten Region der «Everglades» in der Nähe von Naples für
mehr als 25 Millionen US-Dollar zurück, um sie zu revitalisieren. Die Bewirtschaftung des Landes
hatte sich laut dem Bericht in Luther J. Carter «The Florida Experience - South Florida: The
problems of growth» als Fehlschlag erwiesen. Dieses Land wird nun weder jemals verkauft noch
bebaut werden. Obwohl es in schlechtem Zustand ist, soll seine Revitalisierung gemäss dem
offiziellen Plan für «.Hydrologic restoration of Southern Golden Gate Estates »
es mit der Zeit wieder in einen
Zustand versetzen, der dem Stand von vor 30 Jahren entspricht. Ich bin überzeugt, dass wir diese
wichtige Region für Fische und Haie schützen und wiederherstellen können. Die
notwendigen Technologien und Methoden sind bekannt. Doch nun müssen die Menschen davon
überzeugt werden, ihr tägliches Leben und ihre ökonomischen Praktiken dahin zu
ändern, dass dieses Ziel zu erreicht werden kann.
* Dr. Todd E. Hopkins ist Forschungskoordinator des Amtes für Umweltschutz von
Florida, USA, für das nationale Mündungsgewässer Forschungsreservat, Rookery Bay. Er
untersucht die Auswirkungen von Bewirtschaftung und Wiederherstellung von Uferzonen, sowie deren
Auswirkungen auf Wasserqualität und küstennahe Fisch- und Haiarten.
Die Hai-Stiftung unterstützt ein Projekt von Dr. T.
Hopkins in Rookery Bay / Ten Thousand Islands an der Ostküste Floridas. Das Projekt hat zum Ziel,
die Langzeitwirkung der Wiederherstellung eines bisher künstlich regulierten Abflusses der
Everglades (Wasserscheide) auf die dortigen Hai-Kinderstuben zu untersuchen.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. Todd E. Hopkins
|