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Shark Info   (12.11.1996)

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Haiangriffe: Irrtum

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Haiangriffe - Menschenangriffe

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  Fact Sheet:

Das Seitenliniensystem der Haie

Dr. J. G. New


Fact Sheet: Das Seitenliniensystem der Haie

Von Dr. John G. New

Mit dem Seitenliniensystem, einem sensorisches Organ, orten die Haie in der Nähe, aber auch in weiterer Entfernung erzeugte Wasserbewegungen. Unregelmässige Wasserwellen, wie sie etwa von einem verletzten Fisch ausgehen können, wirken für den Hai als sicherer Wegweiser zu seiner Beute. Versuche zeigten, dass mit den Seitenlinien die Beute auch dann geortet wird, wenn zum Beispiel wegen trüben Wassers keine visuellen Reize vorhanden sind.

Seitenliniensysteme werden bei sämtlichen Haien, aber auch bei allen Knochenfischen und sogar bei einigen Amphibien gefunden. Das Organ ist Teil eines grösseren Komplexes, des Octavolateralis-Systems. Es umfasst auch die Lorenzinischen Ampullen (siehe Fact Sheet vom 10.2.96), die bioelektrische Ströme wahrnehmen können sowie die Innenohren, die auf Schwerkraft, Beschleunigung und Schall reagieren. Der gesamte Komplex ist auf sehr ähnlichen Sinneszellen, sogenannten Haarzellen aufgebaut. Die Oberflächen dieser spezialisierten, mit Flüssigkeit umgebenen Zellen sind mit haarähnlichen Fortsätzen bewachsen (Kinozilien und Stereozilien). Gelangt Meerwasser in die Poren des Seitenliniensystems, werden die Härchen analog mitbewegt. Dies löst ein biochemisches Signal an angrenzende Nervenfasern aus. In den Nervenfasern entsteht dadurch wiederum ein elektrischer Impuls, der ans Hirn weitergeleitet wird.

Seitenliniensystem

K
S
N
P
KA
HO
CU
HZ
 
NK
DW

Kinozilie
Stereozilie
Nerven
Pore
Kanal
Hautoberfläche
Kupula
Haarzellen und
Neuromasten
Nervenkanal
Druckwellen

Illustration: René Kindlimann / Shark Info 1996

Die im gesamten Octavolateralis-System vorkommenden Haarzellen reagieren unterschiedlich auf physikalische Ereignisse. Das Innenohr ist darauf spezialisiert, dass dessen Haarzellen vorwiegend auf die Schwerkraft, die Beschleunigung des Körpers und auf Schallwellen reagieren. Jene des Seitenliniensystems in Organen entlang der Körperseite sind darauf spezialisiert, Wasserbewegungen entlang der Körperfläche zu registrieren. Die Haarzellen (Neuromasten) des Seitenlinienorgans liegen sowohl an der Hautoberfläche, als auch in Kanälen. Die oberflächlichen, oft auch als Pit- oder Grubenorgane bezeichneten liegen in flachen, über die Haut verteilten Gruben. Die Kino- und Stereozilien dieser Haarzellen sind in eine zylinderähnliche Gelatinemasse (Kupula) eingebettet.

Die Gelatine wird von Zellen abgesondert, die sich in unmittelbarer Nähe der Haarzellen befinden. Die Kupula reicht bis ins umgebende Wasser; eine Bewegung des Hais bewirkt deren Ablenkung, bzw. der darin enthaltenen Kino- und Stereozilien und damit eine Reizung der Haarzelle. Die in Kanälen gelegenen Neuromasten sind in der Kopfregion und entlang der beiden Körperseiten unmittelbar unter der Hautoberfläche angelegt (Seiten- Linie ). Die Kanäle stehen mit dem Wasser via Poren in Verbindung. Bewegtes Wasser erzeugt Druck, der via Poren an die Nerven weitergeleitet wird. Aus der der Distanz, bzw. Zeitdifferenz, den die Druckwelle zwischen Poren und Nerven zurücklegt, kann das Tier die genaue Richtung der Druckquelle ermitteln.Die Wasserbewegungen bewirken ein Ablenken der über den Neuromasten gestülpten gelatineartigen Kupula und damit auch der sensorischen Haarzellen.

Oberflächliche und in Kanälen liegende Neuromasten melden dem Hai unterschiedliche Botschaften über den Wasserfluss, der über seine Haut gleitet. Die in den Kanälen liegenden Neuromasten reagieren empfindlicher auf niedrige Frequenzen; die oberflächlichen sind auf höhere Frequenzen spezialisiert. Die Kombination dieser beiden Typen liefert komplexe Informationen über Ursprung und Art von Wasserbewegungen.

Elektrische Rochen haben eine weitere Form eines Seitenlinienorgans, die sogenannten «Savische Blasen». Diese Form ist jedoch noch kaum untersucht.

Obwohl Seitenlinie als auch das Innenohr des Hais auf Wasserbewegungen reagieren, existieren Unterschiede. So ist das Seitenlinienorgan nur via Haut auf Nettobewegungen des Wassers sensitiv. Das heisst: die wahrnehmbaren Wasserbewegungen können nur im Nahfeld, also nur relativ nahe an deren Ursprung registriert werden. Weiter von der Bewegungsquelle entfernt bewegen sich Wasserteilchen nur noch vor und zurück ohne Nettoverschiebung. Dieses Fernfeld wird vom Seitenlinienorgan nicht mehr oder nur sehr begrenzt wahrgenommen im Gegensatz zum Innenohr, das für das Registrieren von Wasserstörungen aus grösseren Distanzen eingerichtet ist. Selbstredend kann das Innenohr auch Wasserbewegungen im Nahbereich ermitteln.

Um Beute zu lokalisieren, sind Haie als Räuber und Superräuber auf eine Anzahl hochempfindlicher, sensorischer Organe angewiesen. Das Seitenlinienorgan ist dabei ein extrem hilfreiches Instrument, das dem Hai erlaubt, sich bewegende Objekte zu finden selbst wenn andere Sinne blockiert sind oder nicht ver-wendet werden können. Ein zusätzliches Informationselement, mit dem diese auf wundersame Weise an ihre Umgebung angepassten Tiere ihren Lebensraum ausloten können.

* Dr. John G. New, der diesen Beitrag exklusiv für Shark Info schrieb, ist Associate Professor im Department of Biology and Parmly Hearing Institute der Loyola Universität in Chicago und besitzt grosse Erfahrung im Forschungsbereich zum Octavolateralen System der Haie.

Verwendete Literatur:

    Boord, R.L. & C.B.G. Campbell (1977). Structural and functional organization of the lateral line system of sharks. American Zoologist 17(2): 431-440.

    Coombs, S.L., Janssen, J. & J.F. Webb (1988). Diversity of lateral line systems: Evolutionary and functional considerations. In: Sensory Biology of Aquatic Animals (J. Atema, R.R. Fay, A.N. Popper & W.N. Tavolga, eds) pp 553-594. Springer-Verlag, New York, NY.

    Popper, A.N. & C. Platt (1993). Inner ear and lateral line. In: The Physiology of Fishes (D.H. Evans, ed) pp 99-136. CRC Press, Boca Raton, FL.

    Tester, A.L. & J.I. Kendall (1969). Innervation of free and canal neuromasts in the sharks Carcharhinus menissorrah and Sphyrna lewini. In: Lateral line Detectors (P.H. Cahn, ed) pp 53-69. Indiana University Press, Bloomington, IN.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. John G. New



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modifiziert: 04.06.2016 11:48