Von Dr. E. K. Ritter
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Freitauchen mit Weissen Haien.
Für Sporttaucher oft ein Alptraum, für Wissenschaftler ein
wichtiges Experiment.
© Hai-Stiftung
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Tauchen mit Haien ist erfahrungsgemäss relativ ungefährlich,
solange man gewisse Regeln befolgt.
Weltweit schiessen Anbieter von Haitauchgängen wie Pilze aus dem Boden. Auf
der einen Seite beginnen sich Taucher vermehrt für die Haie einzusetzen, da sie
deren Schönheit und Anmut bewundern, aber auch weil sie realisieren, wie wichtig
Haie in der ökologischen Kette sind. Auf der anderen Seite wird jedoch die Angst
und der Hass der Speerfischer, Schwimmer und Wellenreiter (die führenden
Gruppen in bezug auf Unfälle mit Haien) immer grösser. Eine Abhilfe zu diesem
Missstand kann nur in angewandter Forschung gefunden werden.
Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde noch davon abgeraten, ins Wasser zu
steigen, wenn am vorigen Tag in derselben Region ein Hai gesichtet wurde. Heute
sind Taucher geradezu süchtig danach, diese Tiere zu sehen, zu beobachten und zu
fotografieren. Dabei zeigen aber viele Sporttaucher eine Tendenz, welche früher
oder später ins Auge gehen und die anderen Wassersportler darin bestätigen
könnte, dass es sich eben doch um gefährliche Tiere handelt. Wie so oft bei
Adrenalinkick-Aktivitäten ist es auch beim Haitauchen so, dass immer eine
Steigerung angeboten werden muss, um den Reiz aufrecht zu erhalten. Vor noch
nicht mal 20 Jahren war es noch etwas Ausserordentliches, Riffhaie zu beobachten,
doch schon bald mussten es Blau-, Bullen-, Zitronen- oder gar
Weissspitzenhochseehaie sein. Und neuerdings wird auch der Ruf nach dem freien
Interagieren mit Weissen Haien (Carcharodon carcharias) lauter. Dort wird man aber
mit dem Problem ihrer Grösse konfrontiert, das nicht mehr vernachlässigt werden
kann.
Seine eigenen Grenzen überschreiten kann gefährlich sein. Wenn es um Haie geht,
kann dies sogar verheerende Auswirkungen haben. Haie sind nicht gleich Haie.
Was für die eine Art zutrifft und richtig ist, kann für die andere falsch sein und in einem
Unfall enden. Eine induktive Generalisierung muss bei Haien unter allen Umständen
vermieden und eine artspezifische Annäherung unternommen werden. Daneben
darf auch nie ausser Acht gelassen werden, dass nicht wir versuchen sollten, den
Haien unsere Regeln aufzuerlegen, sondern umgekehrt, dass wir deren Regeln
akzeptieren müssen. Wir sollten versuchen, die Haie und ihre Sprache bei
Interaktionen mit dem Unbekannten dem Menschen zu verstehen. Wie bei
anderen Tiergruppen hat der Mensch auch bei Haien die Tendenz, sie vom
menschlichen Standpunkt aus zu betrachten und anzunehmen, dass ihr Empfinden
gleich dem unseren ist. Doch Haie sehen und fühlen ihre Umwelt anders als wir
Menschen, und entsprechend darf eine Annäherung an einen Hai nicht vom
menschlichen Standpunkt heraus geschehen. Was für uns Menschen keinen Sinn
macht, spielt vielleicht bei Haien eine grosse Rolle. Und gerade hier liegt eines der
grössten Probleme: Vielfach ist der Mensch nicht sensibel genug, zu erkennen,
dass andere Verhaltensregeln als die seinen zutreffen könnten, und er ist auch oft
nicht aufgeklärt genug, zu verstehen und die Signale der Haie richtig zu
interpretieren. So etwas fällt in den meisten Fällen nicht ins Gewicht, wenn es sich
um Riffhaie oder Arten ähnlicher Grösse handelt. Problematisch wird es jedoch,
wenn mit Grosshaien interagiert wird. Hier spielt die reine Grösse der Haie eine
wichtige Rolle, denn sie löst unbewusst bei den meisten Menschen Angst aus.
Diese Angst, beziehungsweise die durch die Angst entstehenden körperlichen
Reaktionen, wie erhöhter Herzschlag und schnellere Atmung, machen den Hai erst
richtig auf den Taucher aufmerksam. In diesen Fällen kann es schnell vorkommen,
dass eine Situation heraufbeschworen wird, die vom Taucher nicht mehr kontrolliert
werden kann. Doch was passiert, wenn der Sporttaucher sich dieser Gefahr
überhaupt nicht bewusst ist? Darf man zusehen und warten bis etwas passiert?
Nein! Es sollte gesetzlich verankert werden, dass keine Tauchgänge zu Grosshaien
angeboten werden dürfen, es sei denn mittels Käfigen oder anderen
Schutzvorkehrungen. Interaktionen mit Grosshaien ohne Schutzmassnahmen sollten
Wissenschaftern überlassen werden, die herausfinden wollen, warum diese Tiere in
Unfälle verwickelt sind und versuchen, Verhaltensweisen zu erarbeiten, die den
gefährdeten Wassersportlern nützlich sind.
Es steht ausser Frage, dass Haie nicht in Aquarien oder Gehegen studiert werden
können, sondern nur im freien Wasser. Jede Form von Limitierung des
Lebensraums verändert deren Verhalten, nicht nur das von Haien, sondern von
jedem Lebewesen. Entsprechend ist es notwendig, dass die Laboratorien unter
Wasser verlagert werden müssen. Ein nicht zu unterschätzender Schritt! Wie für
viele andere Forschungsbereiche auch, sind Arbeitsstätten oft an Universitäten,
Institute oder zweckbedingte Räumlichkeiten gebunden, was teilweise den
geringen Fortschritt in einigen Forschungsbereichen erklärt. Entsprechend ist es nicht
erstaunlich, dass das häufigste Grossraubtier dieser Erde nur gerade mal von einer
Hand voll Wissenschafter direkt unter Wasser erforscht wird, und Grosshaie mit
Abstand zu den am wenigsten erforschten Räubern auf unserem Planeten zählen.
Die Notwendigkeit ist klar: Es müssen mehr Forscher den Weg ins Wasser wagen.
Nur so kann das Verhalten dieser Tiere in einer vernünftigen Zeit erforscht werden,
mit dem Ziel, das ökologische Gleichgewicht der marinen Welt intakt zu halten. Nur
eine Aufklärung über diese Tiere in der breiten Öffentlichkeit kann diesem
Bestreben entgegen kommen. Doch es gibt mehr als 460 Arten, es ist unmöglich,
alle zu erfassen! Entsprechend müssen pressewirksame Informationen gefunden
werden: Der Weisse Hai garantiert dieses Interesse der Presse. Angewandte
Forschung mit dem Weissen Hai wird das allgemeine Bild der Haie demys-tifizieren
und hoffentlich eine Änderung der menschlichen Gesinnung in die Wege leiten.
Diese ist notwendig, will man die drohende ökologische Katastrophe durch
Überfischen und Abschlachten der Haie, angetrieben durch Angst und geleitet von
ökonomischen Interessen, abwenden. Doch was wissen wir über Weisse Haie, wo
steht die Forschung? Was wir zu wissen scheinen ist das, was von Unfällen her
bekannt ist, was wir in wissenschaftlicher Kleinarbeit herausfinden oder was von
Kameras hinter Gitterstäben festgehalten wurde.
Der erste und absolut wichtigste Schritt ist, die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung
zu beobachten und diese Situationen aufzuzeichnen. Dann werden sie mit bereits
bekannten Situationen anderer Arten verglichen. Die ersten Ergebnisse sind
vielversprechend. Der Weisse Hai scheint, abgesehen von seiner Grösse und
dem damit verbundenen mentalen Problem der interagierenden Person, sich nicht
wesentlich von anderen Grosshaien zu unterscheiden.
Für viele Haiarten wurde bereits in einer Anfangsphase untersucht, wie sie auf
einzelne Situationen reagieren, wie beispielsweise Blut im Wasser, Farbe des
Tauchanzugs, Bewegungen der Person an der Oberfläche und andere. Diese
Versuche werden in den nächsten Jahren auch an Weissen Haien weitergeführt.
Das Ziel ist es auf der einen Seite, Verhaltensweisen von Schwimmern und
Tauchern zu entwickeln, welche einen möglichen Unfall verhindern sollen,
andererseits muss aber auch dem Phänomen des Surfbrettbeissens vermehrt
Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sollten wir in der Lage sein, dies in dem
Umfang zu verstehen, dass Gegenmassnahmen entwickelt und erfolgreich
angewendet werden können, wird «Jaws» ein für alle Mal aus den Gedanken der
Menschen verschwinden und dadurch mithelfen, den schlechten Ruf der Haie zu
verbessern und deren Überleben auf unserem Planeten eine Chance zu geben.
* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe
und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter
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