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Shark Info   (15.12.2000)

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  Intro:

Freitauchen mit Grosshaien

Shark Info

  Hauptartikel:

Freitauchen mit Grosshaien - Unfug oder Notwendigkeit?

Dr. E. K. Ritter

  Artikel 1:

Die Liste bedrohter Haiarten: Wie hilfreich ist sie wirklich?

Shark Info

  Artikel 2:

Initiative zum Verbot von Haifüttern in Florida abgelehnt

Richard Finkus

  Artikel 3:

Gesetz gegen Finning in US-Gewässern vom amerikanischen Senat verabschiedet

Shark Info

  Fact Sheet:

Riesenhaie

Dr. E. K. Ritter


Freitauchen mit Grosshaien - Unfug oder Notwendigkeit?

Von Dr. E. K. Ritter

Freitauchen

Freitauchen mit Weissen Haien. Für Sporttaucher oft ein Alptraum, für Wissenschaftler ein wichtiges Experiment.

© Hai-Stiftung

Tauchen mit Haien ist erfahrungsgemäss relativ ungefährlich, solange man gewisse Regeln befolgt.

Weltweit schiessen Anbieter von Haitauchgängen wie Pilze aus dem Boden. Auf der einen Seite beginnen sich Taucher vermehrt für die Haie einzusetzen, da sie deren Schönheit und Anmut bewundern, aber auch weil sie realisieren, wie wichtig Haie in der ökologischen Kette sind. Auf der anderen Seite wird jedoch die Angst und der Hass der Speerfischer, Schwimmer und Wellenreiter (die führenden Gruppen in bezug auf Unfälle mit Haien) immer grösser. Eine Abhilfe zu diesem Missstand kann nur in angewandter Forschung gefunden werden.

 

Ausgangslage

Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde noch davon abgeraten, ins Wasser zu steigen, wenn am vorigen Tag in derselben Region ein Hai gesichtet wurde. Heute sind Taucher geradezu süchtig danach, diese Tiere zu sehen, zu beobachten und zu fotografieren. Dabei zeigen aber viele Sporttaucher eine Tendenz, welche früher oder später ins Auge gehen und die anderen Wassersportler darin bestätigen könnte, dass es sich eben doch um gefährliche Tiere handelt. Wie so oft bei Adrenalinkick-Aktivitäten ist es auch beim Haitauchen so, dass immer eine Steigerung angeboten werden muss, um den Reiz aufrecht zu erhalten. Vor noch nicht mal 20 Jahren war es noch etwas Ausserordentliches, Riffhaie zu beobachten, doch schon bald mussten es Blau-, Bullen-, Zitronen- oder gar Weissspitzenhochseehaie sein. Und neuerdings wird auch der Ruf nach dem freien Interagieren mit Weissen Haien (Carcharodon carcharias) lauter. Dort wird man aber mit dem Problem ihrer Grösse konfrontiert, das nicht mehr vernachlässigt werden kann.

Unfug mit dem Tier zur Bestätigung des Egos

Seine eigenen Grenzen überschreiten kann gefährlich sein. Wenn es um Haie geht, kann dies sogar verheerende Auswirkungen haben. Haie sind nicht gleich Haie. Was für die eine Art zutrifft und richtig ist, kann für die andere falsch sein und in einem Unfall enden. Eine induktive Generalisierung muss bei Haien unter allen Umständen vermieden und eine artspezifische Annäherung unternommen werden. Daneben darf auch nie ausser Acht gelassen werden, dass nicht wir versuchen sollten, den Haien unsere Regeln aufzuerlegen, sondern umgekehrt, dass wir deren Regeln akzeptieren müssen. Wir sollten versuchen, die Haie und ihre Sprache bei Interaktionen mit dem Unbekannten ­ dem Menschen ­ zu verstehen. Wie bei anderen Tiergruppen hat der Mensch auch bei Haien die Tendenz, sie vom menschlichen Standpunkt aus zu betrachten und anzunehmen, dass ihr Empfinden gleich dem unseren ist. Doch Haie sehen und fühlen ihre Umwelt anders als wir Menschen, und entsprechend darf eine Annäherung an einen Hai nicht vom menschlichen Standpunkt heraus geschehen. Was für uns Menschen keinen Sinn macht, spielt vielleicht bei Haien eine grosse Rolle. Und gerade hier liegt eines der grössten Probleme: Vielfach ist der Mensch nicht sensibel genug, zu erkennen, dass andere Verhaltensregeln als die seinen zutreffen könnten, und er ist auch oft nicht aufgeklärt genug, zu verstehen und die Signale der Haie richtig zu interpretieren. So etwas fällt in den meisten Fällen nicht ins Gewicht, wenn es sich um Riffhaie oder Arten ähnlicher Grösse handelt. Problematisch wird es jedoch, wenn mit Grosshaien interagiert wird. Hier spielt die reine Grösse der Haie eine wichtige Rolle, denn sie löst unbewusst bei den meisten Menschen Angst aus. Diese Angst, beziehungsweise die durch die Angst entstehenden körperlichen Reaktionen, wie erhöhter Herzschlag und schnellere Atmung, machen den Hai erst richtig auf den Taucher aufmerksam. In diesen Fällen kann es schnell vorkommen, dass eine Situation heraufbeschworen wird, die vom Taucher nicht mehr kontrolliert werden kann. Doch was passiert, wenn der Sporttaucher sich dieser Gefahr überhaupt nicht bewusst ist? Darf man zusehen und warten bis etwas passiert? Nein! Es sollte gesetzlich verankert werden, dass keine Tauchgänge zu Grosshaien angeboten werden dürfen, es sei denn mittels Käfigen oder anderen Schutzvorkehrungen. Interaktionen mit Grosshaien ohne Schutzmassnahmen sollten Wissenschaftern überlassen werden, die herausfinden wollen, warum diese Tiere in Unfälle verwickelt sind und versuchen, Verhaltensweisen zu erarbeiten, die den gefährdeten Wassersportlern nützlich sind.

Notwendigkeit

Es steht ausser Frage, dass Haie nicht in Aquarien oder Gehegen studiert werden können, sondern nur im freien Wasser. Jede Form von Limitierung des Lebensraums verändert deren Verhalten, nicht nur das von Haien, sondern von jedem Lebewesen. Entsprechend ist es notwendig, dass die Laboratorien unter Wasser verlagert werden müssen. Ein nicht zu unterschätzender Schritt! Wie für viele andere Forschungsbereiche auch, sind Arbeitsstätten oft an Universitäten, Institute oder zweckbedingte Räumlichkeiten gebunden, was teilweise den geringen Fortschritt in einigen Forschungsbereichen erklärt. Entsprechend ist es nicht erstaunlich, dass das häufigste Grossraubtier dieser Erde nur gerade mal von einer Hand voll Wissenschafter direkt unter Wasser erforscht wird, und Grosshaie mit Abstand zu den am wenigsten erforschten Räubern auf unserem Planeten zählen. Die Notwendigkeit ist klar: Es müssen mehr Forscher den Weg ins Wasser wagen. Nur so kann das Verhalten dieser Tiere in einer vernünftigen Zeit erforscht werden, mit dem Ziel, das ökologische Gleichgewicht der marinen Welt intakt zu halten. Nur eine Aufklärung über diese Tiere in der breiten Öffentlichkeit kann diesem Bestreben entgegen kommen. Doch es gibt mehr als 460 Arten, es ist unmöglich, alle zu erfassen! Entsprechend müssen pressewirksame Informationen gefunden werden: Der Weisse Hai garantiert dieses Interesse der Presse. Angewandte Forschung mit dem Weissen Hai wird das allgemeine Bild der Haie demys-tifizieren und hoffentlich eine Änderung der menschlichen Gesinnung in die Wege leiten. Diese ist notwendig, will man die drohende ökologische Katastrophe durch Überfischen und Abschlachten der Haie, angetrieben durch Angst und geleitet von ökonomischen Interessen, abwenden. Doch was wissen wir über Weisse Haie, wo steht die Forschung? Was wir zu wissen scheinen ist das, was von Unfällen her bekannt ist, was wir in wissenschaftlicher Kleinarbeit herausfinden oder was von Kameras hinter Gitterstäben festgehalten wurde.

Wo soll die angewandte Forschung mit Weissen Haien beginnen?

Der erste und absolut wichtigste Schritt ist, die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten und diese Situationen aufzuzeichnen. Dann werden sie mit bereits bekannten Situationen anderer Arten verglichen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Der Weisse Hai scheint, abgesehen von seiner Grösse und dem damit verbundenen mentalen Problem der interagierenden Person, sich nicht wesentlich von anderen Grosshaien zu unterscheiden.

Was ist der nächste Schritt?

Für viele Haiarten wurde bereits in einer Anfangsphase untersucht, wie sie auf einzelne Situationen reagieren, wie beispielsweise Blut im Wasser, Farbe des Tauchanzugs, Bewegungen der Person an der Oberfläche und andere. Diese Versuche werden in den nächsten Jahren auch an Weissen Haien weitergeführt. Das Ziel ist es auf der einen Seite, Verhaltensweisen von Schwimmern und Tauchern zu entwickeln, welche einen möglichen Unfall verhindern sollen, andererseits muss aber auch dem Phänomen des Surfbrettbeissens vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sollten wir in der Lage sein, dies in dem Umfang zu verstehen, dass Gegenmassnahmen entwickelt und erfolgreich angewendet werden können, wird «Jaws» ein für alle Mal aus den Gedanken der Menschen verschwinden und dadurch mithelfen, den schlechten Ruf der Haie zu verbessern und deren Überleben auf unserem Planeten eine Chance zu geben.

* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter



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modifiziert: 04.06.2016 11:48