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Shark Info   (10.02.1996)

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  Intro:

Leiden für nutzloses Haiknorpel-Pulver gegen Krebs

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Haiknorpel gegen Krebs

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  Fact Sheet:

Die Lorenzinischen Ampullen

Prof. Dr. R. Lund


Fact Sheet: Die Lorenzinischen Ampullen

«Sharks are creatures of mystery»

Von Prof. Dr. Richard Lund

Der sechste Sinn des Hais

Der Hai verfügt über ein äusserst differenziertes sensorisches System, das bei der Orientierung, der Nahrungssuche und der Fortpflanzung eine wichtige Rolle spielt. Dazu gehören nicht nur Geruchssinn, Seh- und Hörvermögen, Geschmacksinn und Druckwahrnehmung (zur Ermittlung von Wasserbewegungen), sondern auch eine Art sechster Sinn: die Lorenzinischen Ampullen. Mit diesen Rezeptoren können Haie selbst schwächste elektrische Felder mit Unterschieden von nur fünf Milliardstel Volt wahrnehmen. Die Lorenzinischen Ampullen sind winzige, gallertgefüllte Kanälchen, die mit Nerven versehen sind, die auf elektrische Stimulationen reagieren. Dieses Organ ist über die Schnauzenregion, den Unterkiefer und um die Augen verteilt und ist an der Hautoberfläche als dunkle Porenöffnungen zu erkennen.

Dieser sechste Sinn wurde vom Italiener Marcello Malpighi (1628 - 1694) entdeckt. Beschrieben wurden sie jedoch erst 1678 von seinem Landsmann Stefano Lorenzini, der aber die Funktionsweise dieser Organe noch nicht durchschaute. Nachdem die Lorenzinischen Ampullen lange Zeit der Wahrnehmung von Druckschwankungen oder Temperaturveränderungen zugeordnet wurden, erbrachten die Holländer Dr. A. Dijkraaf und Dr. J. Kalmijn erst 1962 den Nachweis, dass das Organ auf elektrische Reize reagiert.

Nutzung der Lorenzinischen Ampullen

Im Meerwasser entstehen schwache elektrische Felder auf die unterschiedlichste Weise. Zu den Hauptemittenten gehören Lebewesen; sie erzeugen bioelektrische Felder, die sie einem niederfrequenten Summen oder einer Aura gleich umgeben. Die Ströme entstehen innerhalb ihrer Körper durch Muskelaktivität und elektrochemischen Reaktionen. Aber auch metallische Gegenstände wie Büchsen, Kabel und Boote bewirken durch galvanische Reaktionen im Meerwasser schwache elektrische Felder.

   Lorenzinische Ampullen
  

Illustration:
René Kindlimann / Shark Info 1995

Bioelektrische Felder sind äusserst schwach und können auf küzeste Distanz wahrgenommen werden. Ihren sensiblen elektrorezeptiven Sinn setzen Haie nicht nur zur Orientierung ein (siehe unten), sondern auch zum Aufspüren von Nahrung. So können sie das bioelektrische Feld eines im Sand vergrabenen Plattfisches wahrnehmen oder sie benutzen dieses Organ, um vorbeischwimmende Beute aus der Lauerstellung heraus zu orten. Das zeigt etwa das Beispiel des Schwellhais (Cephaloscyllium), der zum Jagen bewegungslos und gut getarnt am Boden liegt. Bei ihm wurde nachgewiesen, wie er auf das bioelektrische Feld reagiert: Wenn die Beute in den Wahrnehmungsbereich der elektrischen Aura kommt, beisst der Hai zu. Beobachtungen am Hammerhai lassen den Schluss zu, dass er die Lorenzinischen Ampullen besonders effizient einsetzt. Auffallend ist sein ruckartiges, repetives Schwenken des abgeflachten Kopfes vor der Beuteerfassung. Da sein breiter Schädel auch eine grössere Anzahl Lorenzinischer Ampullen zulässt, ist das Tier offensichtlich in der Lage, die elektromagnetischen Felder seiner Beute genauer zu detektieren.

Die elektrischen Felder von im Wasser liegenden oder treibenden metallischen Gegenständen können bei Haien zu einem Fehlverhalten führen. Dass zum Beispiel in den Mägen mancher Haiarten Konservenbüchsen, Nummernschilder und andere metallische Objekte gefunden werden, ist darauf zurückzuführen, dass die Signale der Lorenzinischen Ampullen fehlinterpretiert worden sind.

Orientierung im Erdmagnetfeld

Zu Beginn der Achtziger Jahre stellten die Holländer Dijkraaf und Kalmijn die Hypothese auf, dass Haie mit den Lorenzinischen Ampullen das erdmagnetische Feld als Orientierungshilfe benutzen. Diese Annahme ist bis heute noch nicht bewiesen; doch weisen gewisse Indizien darauf hin, dass sie stimmt. So würde sie eine Erklärung dafür liefern, weshalb gewisse Arten, wie etwa der Weisse Hai, auch nach längerer Abwesenheit und über grosse Distanzen einen Ort wieder finden.

Wissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass Rochen mit den Lorenzinischen Ampullen der rechten und linken Schädelseite kleinste Spannungsunterschiede wahrnehmen, diese im Zentralnervensystem verarbeiten und zur Orientierung verwenden können - eine Notwendigkeit zur Orientierung im erdmagnetischen Feld.

 

*Prof. Dr. Richard Lund, Garden City, N.Y.

Verwendete Literatur:

    Dijkraaf, S. u. A. J. Kalmijn (1963): Untersuchungen über die Funktion der Lorenzinischen Ampullen an Haifischen. Z. vergl. Physiol. 47, 438 - 456.

    Dijkraaf, S. u. A. J. Kalmijn (1966): Versuche zur biologischen Bedeutung der Lorenzinischen Ampullen bei Elasmobranchiern. Z. vergl. Physiol. 53, 187-194.

    Kalmijn, A.J. (1982): Electric and magnetic field detection in elasmobranch fishes. Science 218, 916 - 918. Tricas, T.C. (1982): Bioelectric-mediated predation by swell shark, Cephaloscyllium ventricosum. Copeia 1982: 948 - 952.

    Kalmijn, A.J. (1984): Theory of electromagnetic orientation: a further analyses. In: Bolis, L., Keynes, R.D. (eds.): Comparative physiology of sensory systems. Cambridge University Press, 525 - 560.

    Kalmijn, A.J. u. K.J. Rose (1978): The shark's sixth sense. Natural History 87, 76 - 81. Montgomery

    J.C. (1984): Frequence response characteristics of primary and secondary neurons in the electrosensory system of the thornback ray. Comp. Biochem. Physiol. 79 A: 189 - 195.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Prof. Dr. Richard Lund



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modifiziert: 04.06.2016 11:48