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Shark Info   (15.05.2000)

Author

  Intro:

Mexiko: Massaker in Unterwasserpark

Shark Info

  Hauptartikel:

Mexiko: Driftnetz-Flotte schlachtet Tausende von Haien im einzigen Unterwasserpark ab

Shark Info

  Artikel 1:

Das Marine Stewardship Council

Dr. A. J. Godknecht

  Artikel 2:

Untersuchungen zu Surfbrett - Unfällen

Dr. E. K. Ritter

  Artikel 3:

Neuer Shark Info Webserver

Shark Info

  Fact Sheet:

Bogenstirn Hammerhai

Dr. E. K. Ritter


Untersuchungen zu Surfbrett - Unfällen

Von Dr. E. K. Ritter

Als ich im Februar in Südafrika arbeitete, wurde ich für die Untersuchung eines Surfunfalls mit einem Weissen Hai (Carcharodon carcharias) beigezogen. Die Analyse ergab, dass der Hai den Surfer angriff und nach diesem Angriff mindestens zweimal zurückkehrte. Der Hai kam jeweils von hinten an den Surfer heran und packte ihn. Leider erlitt der Surfer bei diesem Unfall tödliche Verletzungen. Meine Schlussfolgerung über den Hergang des Unfalls war, dass der Surfer nicht aus Versehen gebissen worden sein konnte, sondern dass andere Faktoren eine Rolle gespielt haben mussten. Ein Teil meiner Arbeit als Sachbearbeiter für das «Global Shark Attack File» des Shark Research Institute in Princeton (GSAF, siehe auch den Bericht in Shark Info 1/99), besteht neben der Begutachtung und Analyse des Herganges solcher Fälle auch darin, mögliche Ursachen für Unfälle zu untersuchen und zu testen. Als ich nun im Mai wieder in Südafrika an einem anderen Projekt arbeitete, benutzte ich die Gelegenheit, erste Anhaltspunkte für die Ursache des Unfalls, der dem Surfer zum Verhängnis wurde und in der Regel als Verwechslung zwischen Seehund und Surfbrett erklärt wird, zu testen.

Überlegungen

Wir wollten bei unseren Versuchen ganz bewusst Angriffe von Weissen Haien provozieren, um die auslösenden Faktoren analysieren zu können. Unfallstatistiken zeigen, dass Weisse Haie meist Surfer beissen, die ruhig auf dem Brett sitzen oder liegen, sich also nicht aktiv fortbewegen. Schenkt man der Hypothese der Verwechslung der Surfers mit einem Seehund glauben, so sollte also eine ruhig im Wasser liegende Attrappe für die Haie interessant sein und früher oder später von einem Hai gepackt werden. Um das Interesse der Haie noch zu vergrössern, wählten wir als Attrappe kein Surfbrett, sondern eine Seehundattrappe, denn Seehunde sind die bevorzugte Nahrung von Weissen Haien. Die Attrappe war schwarz (nicht bunt wie die meisten Surfbretter) und bestand aus mehrschichtigem Gummi.

Als Alternative zur unbewegten Attrappe zogen wir sie in einem zweiten Versuch mit einer konstanten Geschwindigkeit von 5 Knoten (9.26 km) pro Stunde im Abstand von 15 m hinter dem Boot her.

Attrappe

Ein Weisser Hai nähert sich vorsichtig der unbewegten Attrappe.

© Shark Info

Erste Resultate

Unbewegte Attrappe

Wir konnten während der zwei Wochen dauernden Experimente täglich bis zu 10 Weisse Haie an die ruhig im Wasser liegende Attrappe locken. Die Attrappe wurde jedoch nur in sehr wenigen Fällen gebissen, und dann auch nur zögernd und nie mit der Kraft und Geschwindigkeit, die man beim Fangen von Seehunden beobachten kann. Die Haie näherten sich der Attrappe immer von hinten - direkt an der Oberfläche - oder senkrecht von unten. In keinem der Fälle konnte die vom echten Beutemachen her bekannte, sehr hohe Beschleunigung beobachtet werden. Diese hohe Geschwindigkeit kann sogar dazu führen, dass der Hai in seiner gesamten Länge aus dem Wasser springt.

Es scheint, dass die Haie diese Attrappen nicht mit einem Seehund verwechselt haben, denn sonst hätten sie direkt attackiert. Der Umriss scheint eher nur ihre Neugierde geweckt zu haben, denn er ähnelte ja dem bekannten Suchbild («Search image») eines Seehundes. Raubtiere besitzen solche Suchbilder, um sich auf ein gewisses Ziel konzentrieren und so sehr schnell reagieren zu können.

Attrappe 2

Nur in einem Fall wurde die Attrappe entzwei gebissen.

© Shark Info

Bewegte Attrappe

Die Situation sah völlig anders aus, als wir die Attrappe gemäss dem zweiten Versuchsansatz hinter dem Boot herzogen. Pro Stunde Fahrzeit wurden bis zu 5 Angriffe auf die Attrappe registriert. Die meisten Haie sprangen bei den Attacken aus dem Wasser. Teilweise waren die bis zu 5 m langen Tiere vollständig in der Luft, was auf eine sehr hohe Beschleunigung und Angriffsgeschwindigkeit schliessen lässt. Auch bei diesem Experiment war interessant, dass der Biss in den meisten Fällen lediglich dem Festhalten diente. Nur in einem einzigen Fall wurde die Attrappe entzwei gebissen. Analysen der Videoaufnahmen zeigten, dass die Tiere, wenn sie zurück ins Wasser fielen, die Attrappe sofort wieder losliessen. Weiter war erstaunlich, dass die Haie nicht wie erwartet immer von hinten und unten anschwammen, sondern oft auch von vorne - in die Schwimmbahn der Attrappe hinein. Je nach Anschwimmwinkel sprangen die Tiere von recht flach, bis senkrecht aus dem Wasser. Bei steileren Sprungwinkeln drehten sich die Haie dabei in der Luft um ihre eigene Achse, bei flachen Bahnen jedoch nicht. Ein ähnliches Angriffsverhalten konnte bei Attacken auf Seehunde, z.B. in Dyer Island (Südafrika), ebenfalls beobachtet werden.

Für die Attacken auf die bewegte Attrappe gibt das Jagdverhalten der Weissen und das Verhalten ihrer Beute, der Seehunde, eine mögliche Erklärung. Seehunde sind keine leicht zu machende Beute, denn sie sind sehr beweglich und können sich erstaunlich gut mit Bissen wehren. Zudem schwimmen sie oft in Felsennähe und nur selten im offenen Wasser. Sie bevorzugen vor Haien geschützte Regionen.

Selbst so gute Jäger wie Weisse Haie leben nicht im Überfluss, denn Nahrung ist in der Regel im Meer recht knapp. Entsprechend ist für sie ein frei im offenen Wasser schwimmender Seehund eine leichte Beute.

Entdecken sie einen solchen Seehund, müssen sie schnell handeln und sie attackieren. Eine ältere Theorie, die Exsanguinations- oder Ausblutungs-Theorie erklärt möglicherweise auch, dass die Haie sich selten in die Attrappe verbissen haben (nur ein Fall). Nach dieser Theorie attackieren die Haie, verletzen die Beute, und ziehen sich zurück, um einen Kampf und eigene Verletzungen zu vermeiden. Ist die Beute durch die Verletzung geschwächt, kann der Weisse Hai sie dann in einer zweiten Attacke risikoloser fressen.

Es ist nun möglich, dass die sich bewegende Attrappe dem Search image «frei schwimmender Seehund» sehr nahe kommt und eine schnelle Beutereaktion auslöst.

Ein zusätzlicher Auslöser für die Attacke sind möglicherweise die niederfrequenten Schwingungen, die der langsam laufende Bootsmotor verursacht. Dass Haie auf solche Schwingungen reagieren wird vermutet, denn sie ähneln Schwingungen, die auch von verletzten Tieren verursacht werden können. Weitere Untersuchungen müssen in dieser Hinsicht jedoch noch gemacht werden. Ein zusätzlicher Grund, der den Hai zu einer untypisch schnellen Entscheidung für einen Angriff reizen kann: «verletzter, frei schwimmender Seehund».

In diesem Fall scheint der Hai die Attrappe mit einem Seehund verwechselt zu haben (es war ja schliesslich auch eine Seehundattrappe), denn seine Reizschwelle für einen Angriff ist bei einer derart verführerischen Situation sehr niedrig. Dennoch kann ein Weisser Hai auch in so einem Fall klar zwischen einem sich bewegenden Surfbrett und einem Seehund (oder einer entsprechenden Attrappe) unterscheiden, denn sonst wären Angriffe auf sich bewegende Surfer statistisch nicht so selten.

Es ist noch zu früh, aus diesen Versuchen konkrete Aussagen abzuleiten. Deshalb werden wir im Herbst beginnen, systematisch gewisse Parameter des Experiments wie Form, Material und dadurch Geruch der Attrappe sowie die Fahrtgeschwindigkeit zu ändern, um festzustellen, auf welche Reize die Haie reagieren und welche Faktoren schlussendlich dazu führen, dass Surfer gebissen werden.

Sicher ist jedoch schon jetzt, dass Weisse Haie offensichtlich bei der ruhig im Wasser liegenden Attrappe recht genau zwischen Seehunden und Surfbrettern unterscheiden können und sich entsprechend nur vorsichtig, neugierig nähren.

* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter



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modifiziert: 04.06.2016 11:48