Von Dr. E. K. Ritter
Als ich im Februar in Südafrika arbeitete, wurde ich für
die Untersuchung eines Surfunfalls mit einem Weissen Hai (Carcharodon carcharias) beigezogen. Die
Analyse ergab, dass der Hai den Surfer angriff und nach diesem Angriff mindestens zweimal
zurückkehrte. Der Hai kam jeweils von hinten an den Surfer heran und packte ihn. Leider erlitt der
Surfer bei diesem Unfall tödliche Verletzungen. Meine Schlussfolgerung über den Hergang des Unfalls
war, dass der Surfer nicht aus Versehen gebissen worden sein konnte, sondern dass andere Faktoren eine
Rolle gespielt haben mussten. Ein Teil meiner Arbeit als Sachbearbeiter für das «Global Shark Attack
File» des Shark Research Institute in Princeton (GSAF, siehe auch den Bericht in
Shark Info 1/99),
besteht neben der Begutachtung und Analyse des Herganges solcher Fälle auch darin, mögliche Ursachen
für Unfälle zu untersuchen und zu testen. Als ich nun im Mai wieder in Südafrika an einem anderen
Projekt arbeitete, benutzte ich die Gelegenheit, erste Anhaltspunkte für die Ursache des Unfalls, der
dem Surfer zum Verhängnis wurde und in der Regel als Verwechslung zwischen Seehund und Surfbrett
erklärt wird, zu testen.
Wir wollten bei unseren Versuchen ganz bewusst Angriffe von
Weissen Haien provozieren, um die auslösenden Faktoren analysieren zu können. Unfallstatistiken
zeigen, dass Weisse Haie meist Surfer beissen, die ruhig auf dem Brett sitzen oder liegen, sich also
nicht aktiv fortbewegen. Schenkt man der Hypothese der Verwechslung der Surfers mit einem Seehund
glauben, so sollte also eine ruhig im Wasser liegende Attrappe für die Haie interessant sein und
früher oder später von einem Hai gepackt werden. Um das Interesse der Haie noch zu vergrössern,
wählten wir als Attrappe kein Surfbrett, sondern eine Seehundattrappe, denn Seehunde sind die
bevorzugte Nahrung von Weissen Haien. Die Attrappe war schwarz (nicht bunt wie die meisten
Surfbretter) und bestand aus mehrschichtigem Gummi.
Als Alternative zur unbewegten Attrappe zogen wir
sie in einem zweiten Versuch mit einer konstanten Geschwindigkeit von 5 Knoten (9.26 km) pro Stunde im
Abstand von 15 m hinter dem Boot her.
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Ein Weisser Hai nähert sich
vorsichtig der unbewegten Attrappe.
© Shark Info |
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Unbewegte Attrappe
Wir konnten während der zwei
Wochen dauernden Experimente täglich bis zu 10 Weisse Haie an die ruhig im Wasser liegende Attrappe
locken. Die Attrappe wurde jedoch nur in sehr wenigen Fällen gebissen, und dann auch nur zögernd und
nie mit der Kraft und Geschwindigkeit, die man beim Fangen von Seehunden beobachten kann. Die Haie
näherten sich der Attrappe immer von hinten - direkt an der Oberfläche - oder senkrecht von unten. In
keinem der Fälle konnte die vom echten Beutemachen her bekannte, sehr hohe Beschleunigung beobachtet
werden. Diese hohe Geschwindigkeit kann sogar dazu führen, dass der Hai in seiner gesamten Länge aus
dem Wasser springt.
Es scheint, dass die Haie diese Attrappen nicht mit einem Seehund verwechselt
haben, denn sonst hätten sie direkt attackiert. Der Umriss scheint eher nur ihre Neugierde geweckt zu
haben, denn er ähnelte ja dem bekannten Suchbild («Search image») eines Seehundes. Raubtiere besitzen
solche Suchbilder, um sich auf ein gewisses Ziel konzentrieren und so sehr schnell reagieren zu
können.
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Nur in einem Fall wurde die Attrappe entzwei gebissen.
© Shark Info |
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Bewegte Attrappe
Die Situation sah völlig anders aus, als wir die Attrappe gemäss dem zweiten
Versuchsansatz hinter dem Boot herzogen. Pro Stunde Fahrzeit wurden bis zu 5 Angriffe auf die Attrappe
registriert. Die meisten Haie sprangen bei den Attacken aus dem Wasser. Teilweise waren die bis zu 5 m
langen Tiere vollständig in der Luft, was auf eine sehr hohe Beschleunigung und
Angriffsgeschwindigkeit schliessen lässt. Auch bei diesem Experiment war interessant, dass der Biss in
den meisten Fällen lediglich dem Festhalten diente. Nur in einem einzigen Fall wurde die Attrappe
entzwei gebissen. Analysen der Videoaufnahmen zeigten, dass die Tiere, wenn sie zurück ins Wasser
fielen, die Attrappe sofort wieder losliessen. Weiter war erstaunlich, dass die Haie nicht wie
erwartet immer von hinten und unten anschwammen, sondern oft auch von vorne - in die Schwimmbahn der
Attrappe hinein. Je nach Anschwimmwinkel sprangen die Tiere von recht flach, bis senkrecht aus dem
Wasser. Bei steileren Sprungwinkeln drehten sich die Haie dabei in der Luft um ihre eigene Achse, bei
flachen Bahnen jedoch nicht. Ein ähnliches Angriffsverhalten konnte bei Attacken auf Seehunde, z.B. in
Dyer Island (Südafrika), ebenfalls beobachtet werden.
Für die Attacken auf die bewegte Attrappe gibt
das Jagdverhalten der Weissen und das Verhalten ihrer Beute, der Seehunde, eine mögliche Erklärung.
Seehunde sind keine leicht zu machende Beute, denn sie sind sehr beweglich und können sich erstaunlich
gut mit Bissen wehren. Zudem schwimmen sie oft in Felsennähe und nur selten im offenen Wasser. Sie
bevorzugen vor Haien geschützte Regionen.
Selbst so gute Jäger wie Weisse Haie leben nicht im
Überfluss, denn Nahrung ist in der Regel im Meer recht knapp. Entsprechend ist für sie ein frei im
offenen Wasser schwimmender Seehund eine leichte Beute.
Entdecken sie einen solchen Seehund, müssen
sie schnell handeln und sie attackieren. Eine ältere Theorie, die Exsanguinations- oder
Ausblutungs-Theorie erklärt möglicherweise auch, dass die Haie sich selten in die Attrappe verbissen
haben (nur ein Fall). Nach dieser Theorie attackieren die Haie, verletzen die Beute, und ziehen sich
zurück, um einen Kampf und eigene Verletzungen zu vermeiden. Ist die Beute durch die Verletzung
geschwächt, kann der Weisse Hai sie dann in einer zweiten Attacke risikoloser fressen.
Es ist nun
möglich, dass die sich bewegende Attrappe dem Search image «frei schwimmender Seehund» sehr nahe kommt
und eine schnelle Beutereaktion auslöst.
Ein zusätzlicher Auslöser für die Attacke sind möglicherweise
die niederfrequenten Schwingungen, die der langsam laufende Bootsmotor verursacht. Dass Haie auf
solche Schwingungen reagieren wird vermutet, denn sie ähneln Schwingungen, die auch von verletzten
Tieren verursacht werden können. Weitere Untersuchungen müssen in dieser Hinsicht jedoch noch gemacht
werden. Ein zusätzlicher Grund, der den Hai zu einer untypisch schnellen Entscheidung für einen
Angriff reizen kann: «verletzter, frei schwimmender Seehund».
In diesem Fall scheint der Hai die
Attrappe mit einem Seehund verwechselt zu haben (es war ja schliesslich auch eine Seehundattrappe),
denn seine Reizschwelle für einen Angriff ist bei einer derart verführerischen Situation sehr niedrig.
Dennoch kann ein Weisser Hai auch in so einem Fall klar zwischen einem sich bewegenden Surfbrett und
einem Seehund (oder einer entsprechenden Attrappe) unterscheiden, denn sonst wären Angriffe auf sich
bewegende Surfer statistisch nicht so selten.
Es ist noch zu früh, aus diesen Versuchen konkrete Aussagen abzuleiten. Deshalb werden wir im Herbst
beginnen, systematisch gewisse Parameter des Experiments wie Form, Material und dadurch Geruch der
Attrappe sowie die Fahrtgeschwindigkeit zu ändern, um festzustellen, auf welche Reize die Haie
reagieren und welche Faktoren schlussendlich dazu führen, dass Surfer gebissen werden.
Sicher ist
jedoch schon jetzt, dass Weisse Haie offensichtlich bei der ruhig im Wasser liegenden Attrappe recht
genau zwischen Seehunden und Surfbrettern unterscheiden können und sich entsprechend nur vorsichtig,
neugierig nähren.
* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe
und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter
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