Von Dr. E. K. Ritter
Mitte April wurden in Florida innerhalb von einer Woche 7 Menschen von
Haien gebissen. Eine Meldung, die sehr schnell in ganz USA und auch in
verschiedenen Ländern Europas aufgegriffen wurde. Keiner der Bisse war
alarmierend, denn es handelte sich ausschliesslich um Kratzer, doch dies
war wieder einmal Anlass genug, Unfallstatistiken aus dem In- und
Ausland unter die Lupe zu nehmen. In Australien wurden im April
ebenfalls zwei Menschen von Haien gebissen.
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Floridas einzigartige Lage und Gestalt.
© Hai-Stiftung
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Florida verzeichnet weltweit
die meisten Unfälle. Seit 1916 wurden von den einschlägigen Instituten
GSAF (Global Shark Attack File) und dem ISAF (International Shark Attack
File) 439 Unfälle registriert, 29 davon endeten tödlich. An zweiter
Stelle steht Kalifornien mit rund vier Mal weniger Unfällen als Florida
und zehn tödlichen Unfällen. Dies wirft die Frage auf, warum es in
Florida zu deutlich mehr Unfällen kommt als an anderen Orten. Floridas
geographische Lage und Gestalt sind einzigartig. Es erstreckt sich über
6 Breitengrade, trennt zwei Meere voneinander und reicht mit seiner
kontinentalen Spitze bis ins karibische Meer. An seiner Ostküste fliesst
der Golfstrom in nördlicher Richtung.
Der Golfstrom und die enge Strasse von Florida sind ein Grund, dass
manche Haiarten jahreszeitlich entlang der Küste von Florida wandern.
Doch nicht die günstigen Strömungsverhältnisse sind ausschlaggebend für
die Wanderungen von Haien, sondern Futterangebot, Paarungs- und
Gebärorte. Bei ihren Wanderungen kommen einige Individuen bis nahe an
die Küste.
Ein Grund, weshalb es Mitte April vor New Smyrna nahe Daytona
Beach zu Unfällen kam, waren Schwarzspitzenhaie (Carcharhinus limbatus),
die sich auf ihren jährlichen Wanderungen nordwärts befanden und dort
auf Surfer trafen. Das Wanderverhalten ist erst bei sehr wenigen
Haiarten detailliert untersucht worden. Nach bisherigem Wissen sind
Schwarzspitzenhaie jedoch hinsichtlich Wanderungen eine eher heterogene
Art. Einige Populationen scheinen jährliche Wanderungen zu unternehmen,
andere bleiben das ganze Jahr in derselben Region.
Schwarzspitzenhaie
sind in Florida die am häufigsten beissende Art. Ihre durchschnittliche
Grösse von ca. 1.5 m macht ihre Bisse jedoch kaum lebensgefährlich. Die
Gründe für die Unfälle mit den Surfern in New Smyrna wurden nicht näher
untersucht. Wie bei anderen Haiarten auch - beispielsweise den Weissen
Haien (Carcharodon carcharias) - ist es denkbar, dass die
Schwarzspitzenhaie für sie unbekannte Objekte an der Wasseroberfläche
näher untersuchen möchten und zubeissen. Diese Theorie scheint
wahrscheinlich, denn in derselben Region liegt die «Ponce de Leon»
Bucht, in der sich zur dieser Jahreszeit verschiedene Schwarmfischarten
sammeln, um abzulaichen. Ein solcher Umstand könnte die
Schwarzspitzenhaie in einen erregten Zustand versetzen und so die
Hemmschwelle herabsetzen, Unbekanntes auf eventuelle Fressbarkeit hin zu
untersuchen.
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In Florida sind es meistens Schwarzspitzenhaie,
die in Unfälle verwickelt sind.
Doch ihre Bisse sind nicht sehr gefährlich.
© Hai-Stiftung
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Schwarzspitzenhaie sind, trotz der Unfallhäufigkeit, keine
wirklich gefährlichen Haie. Doch welche Arten sind dann für die fast 30
tödlichen Unfälle der letzten 85 Jahre in Florida verantwortlich?
Diese
Unfälle müssen grossen Haiarten wie Bullen- (Carcharhinus leucas) und
Tigerhaien (Galeocerdo cuvier) zugeschrieben werden. Die letzte tödliche
Begegnung mit einem Bullenhai geschah im Jahr 2000 in St. Petersburg,
wobei es sich auch bei diesem Unfall nicht um eine eigentliche Attacke
handelte. Das Opfer sah einen aufgeregt umher schwimmenden Fischschwarm
und sprang in das sehr trübe Wasser, um sich den Schwarm genauer
anzusehen. Was danach genau geschah, wird momentan von Fachleuten der
GSAF (Global Shark Attack File) näher untersucht. In den meisten Fällen
ist es das Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Umstände, die zu einem
Unfall führen. Leider stellt dies jedoch nie den zentralen Teil einer
Berichterstattung über Haiunfälle dar. So ist es nicht erstaunlich, dass
keine der Reportagen in den letzten Wochen auf das Verhalten von
Schwarzspitzenhaien oder letztes Jahr auf das des Bullenhais von St.
Petersburg eingegangen ist. Im Gegensatz dazu wurde jedoch nicht
versäumt darauf hinzuweisen, dass letztes Jahr weltweit ein absolutes
Rekordjahr mit 79 Unfällen, zehn davon mit tödlichem Ausgang, war. Und
auch über eine Zunahme der Haiunfälle in den letzten 10 Jahren konnte
überall gelesen werden. Berücksichtigt man jedoch die Zunahme der
Menschen, die jährlich schwimmen gehen, ist eine andere Tendenz zu
sehen: nämlich eine Abnahme der Unfallhäufigkeit - doch das lässt sich
eher schlecht mit dem Obigen verkaufen.
* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe
und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter
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