Von Dr. E. K. Ritter
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Das Ende eines Grossen Hammerhaies.
© Dr. E. Ritter
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Auf der einen Seite gibt es die Befürworter, die Haie unter
Schutz stellen möchten oder zumindest deren Fischerei
einschränken, da ein Unterlassen zu schweren und unkontrollierbaren
Schäden in den Meeren führen könnte, auf der anderen
Seite gibt es die Gegner, die vor diesen Tieren Angst haben und sich
jeglichem Schutzgedanken entgegen stellen – und diese 2. Gruppe
ist viel grösser. Gerade diese Angst ist es - durch
einschlägige Filme kreiert und durch immer noch
sensationslüsterne Berichte zu Haiunfällen am Leben gehalten
-, die den Schutz für Haie so schwierig macht. Dabei ist diese
Angst mehr als nur unbegründet, denn Haie stellen keine wirkliche
Gefahr für den Menschen dar.
Eine scheinbar einfache Frage. Doch bei näherem Hinsehen ist
eine Antwort eher schwierig. Wahrscheinlich ist es gar nicht der Hai,
vor dem man Angst hat, sondern wird diese lediglich in dieses Tier
hineinprojiziert. Man hat Angst vor dem Wasser, vor dem Dunkeln, vor der
Tiefe… und das lässt sich auf ein einziges Tier
abwälzen, dass darin herumschwimmt. Das Erstaunliche dabei ist,
dass es den Hai gar nicht gibt, entsprechend kann es die Angst vor
diesen Tieren auch nicht wirklich geben. Doch was ruft die Angst hervor,
wenn man einen Hai sieht, oder sich einen solchen vorstellt? Sind es die
Zähne, die - abgesehen von ganz wenigen Arten - nur gerade beim
Beissen sichtbar werden, sind es die Augen, die Bewegungen…? Was
immer es schlussendlich ist, es reicht, um Strände in
kürzester Zeit leer zu fegen, wenn der Verdacht besteht, dass ein
Hai in der Nähe ist, und dabei spielt es keine Rolle, um welche Art
es sich handelt, ihre Grösse oder die Gründe des Auftauchens.
Je mehr ich mich mit der Angst vor Haien befasse, desto
unverständlicher wird mir, weshalb man vor diesen Tieren wirklich
Angst haben kann. Die wenigsten Menschen haben je einen Hai gesehen und
noch weniger davon kamen wirklich in eine Situation, wo sie von einem
solchen Tier bedroht wurden – und doch haben 9 von 10 Menschen vor
diesen Tieren Angst. Definiert man Angst medizinisch, wird diese mit
einem Spannungszustand beschrieben, verbunden mit Gefühlen der
Beengtheit und Bedrohung; und diese Gefühle sind dann oft mit
Körperreaktionen wie Zittern, Herzklopfen,
Schweißausbrüche, aber auch Schlaflosigkeit und
Übererregbarkeit verbunden. Eine solche Angst kann sowohl eine
Reaktion von aussen sein wie beispielsweise eben eine wirkliche
Bedrohung oder aber eine Reaktion, hervorgerufen durch seelische
Konflikte. Da eine eigentliche Bedrohung vor Haien – wie bereits
angetönt - nicht der Fall sein kann, da die meisten Menschen sich
nie einer solchen Situation aussetzen würden oder hineingeraten,
bleibt eigentlich nur der seelische Konflikt. Doch ein Konflikt wovon?
Doch so irrational diese Angst vor Haien auch ist, so dominant und
wirklich ist sie, wenn es darum geht, diese Tiere zu schützen, und
wenn sich dann gerade noch einige Haiunfälle in kurzer Zeit
hintereinander ereignen, wie gerade in den USA und Bahamas geschehen,
scheint jegliches Schutzbestreben nahezu aussichtslos. Würde das
bedeuten, dass wenn es keine Haiunfälle mehr geben würde, dass
dann der Haischutz leichter wäre? Wenn man das Ganze aus diesem
Blickwinkel der Angst und der Reaktion nach solchen Unfällen
betrachtet, müsste man dem zustimmen. Das würde entsprechend
bedeuten, dass wenn man in der Lage ist, Haiunfälle von einem
sachlicheren Standpunkt zu erklären und entsprechend dadurch die
Denkweise der Bevölkerung halbwegs ändern könnte, man
dadurch den Haien helfen könnte – Haiunfallanalyse als Mittel
zum Haischutz.
Es ist wichtig zu verstehen, dass keine Haiart als solche
gefährlich ist, sondern dass lediglich einzelne Tiere dieser Art,
verglichen mit Tieren anderer Arten, eine niedrigere Schwelle besitzen,
Unbekanntes zu beissen. Dabei ist es nicht so, dass der Hai das
Unbekannte aus Aggression heraus beisst, sondern aus Neugierde, aus
einem Spieltrieb heraus... Was immer aber schlussendlich der Grund
dafür ist, es ist unumgänglich, dass man jeden Unfall,
losgelöst von der Art untersuchen und das Tier als solches
behandeln muss und dieses Ereignis nicht stellvertretend für alle
Vertreter dieser Art annehmen darf.
Haiunfälle müssen untersucht werden, um herauszufinden,
was bei diesem einen Tier falsch gelaufen ist, verglichen zu all den
anderen Vertretern dieser Art, welche noch nie in einen Unfall
verwickelt waren. Ein sehr wichtiger Ansatz, denn es ist falsch, von
einem Tier auf die ganze Art zu schliessen, doch leider ist das etwas
gängiges, wenn irgendwo ein Haiunfall geschieht. Doch wie reagieren
wir Menschen auf eine vergleichbare Situation bei uns? Würde in
einem Dorf ein Mord geschehen, gingen wir dann entsprechend von der
einen Person, die den Mord begangen hat, aus und stempeln das ganze Dorf
als Mörder ab, nur weil er zur gleichen Gemeinde zählt? Wohl
nicht, aber genau das tun wir mit Haien. Entsprechend müssen wir
umdenken und uns von der Annahme wegbewegen, dass beispielsweise
Tigerhaie, Weisse Haie, Bullenhaie etc. als solches gefährlich
sind, sondern übergehen zum Ansatz, dass ein einzelner oder einige
wenige Vertreter der Tigerhaie, Weissen Haie, oder Bullenhaie einen
Unfall verursachten. Wenn wir zeigen können, weshalb das eine Tier
dieser einen Art anders reagierte – und eben nicht artspezifisch
handelte – bieten wir die Möglichkeit, solche Unfälle
anders zu sehen und können damit an den Verstand des Zweifelnden
appellieren und mithelfen, dass nicht die ganze Art, oder gar die Haie
als solches, verdammt werden.
Um einen Unfall zu verstehen, muss man diesen analysieren. Eine
Unfallanalyse ist sehr vielschichtig und beinhaltet neben dem Sammeln
von Informationen zum eigentlichen Unfall wie Polizei- und
Ärzteberichte, Zeugenaussagen, Wetterberichte etc. und
Untersuchungen vor Ort, eine eigentliche Wundanalyse zur Bestimmung der
Art und der Grösse des Tiers, wie auch spätere Rekonstruktion
der Wunde an Puppen und des eigentlichen Unfalls mit einem Vertreter der
entsprechenden Art in ähnlichen Umständen. Unfallanalysen sind
dabei wie Puzzles; verschiedene Teile müssen zusammengesetzt
werden, um ein Bild zu erhalten. Wie bei diesen Spielen auch, ist es
leider auch bei Unfällen so, dass gewisse Teilchen schwierig zu
finden sind und ohne diese das Bild nicht wirklich Sinn macht und man
nicht erkennen kann, was das Bild aussagt. Sind die wichtigsten
Bausteine dann aber einmal zusammengefügt, kann die Geschichte
erzählt und eben erklärt werden, wieso es zu diesem Unfall
kam.
Haiunfälle sind Ausnahmen und nicht die Regel. Keine zwei
Unfälle sind gleich, doch lassen sich oft Rückschlüsse
daraus ziehen und ähnliche Faktoren spielten eine Rolle. Und
unabhängig von der Art des Unfalls, es ist nie der Hai, der den
Unfall verursachte, sondern die Person eine Situation kreierte, die ein
solches Ende herauf beschwörte. Haie agieren nicht in der Nähe
eines Menschen, sondern reagieren. Und auch wenn die einschlägigen
Statistiken glauben lassen möchten, dass nahezu alle Unfälle
mit Weissen Haien (Carcharodon carcharias) unprovoziert waren, so muss
dies nicht nur in Frage gestellt, sondern als falsch bezeichnet werden.
Haie werden immer von Menschen provoziert - zwar nicht immer bewusst -
aber sie sind in jedem Fall dafür verantwortlich. Das Problem dabei
ist, dass wir oft nicht wissen, wenn wir einen Hai provozieren, oder uns
in eine Situation hineinmanövrieren, die einen Unfall hervorrufen
kann. Dabei ist es nicht so, dass nur das spätere Opfer die
Situation hervorrufen kann, sondern oftmals Leute, welche zu diesem
Zeitpunkt gar nicht im Wasser waren, wie beispielsweise Fischer, welche
vom Ufer aus köderten und so die Haie anlockten.
Es ist notwendig, dass
Situationen, welche zu Unfällen führen könnten, bereits
im Ansatz eliminiert werden. Entsprechend ist es notwenig, dass
Unfälle aus einer solchen Sicht heraus behandelt werden und
Weisungen herausgegeben, sollte es sich zeigen, dass gewisse
Unfälle hätten verhütet werden können, wären
diese oder jene Massnahmen in Kraft gewesen, oder gewisse
Aktivitäten verboten. Aus diesem Grund kreierte die GSAF (Global
Shark Attack File) des Shark Research Institute, Princeton, vor einigen
Jahren eine Gruppe von Sachbearbeitern, die sich mit der Rekonstruktion
solcher Unfälle sowohl im Labor als auch «im Feld»
befassen, um die Umstände herauszufinden, die den Unfall
provozierten und gegebenen Falls Empfehlungen an die lokalen
Behörden oder andere involvierte Gruppen herausgeben, dass es nicht
zu einer Wiederholung des Unfalls kommen kann.
Die Haie sind es nicht,
die einen Unfall provozieren, sondern wir Menschen, die dies bewusst
oder unbewusst tun. Eine Abhilfe ist notwendig, um das schlechte Image
der Haie zu verändern und damit zu ermöglichen, dass auch
diese Tiere unter Schutz gestellt werden können. Wenn die Menschen
verstehen, dass ein Unfall nichts weiter ist, als eine Situation, die
von Menschen kreiert und provoziert wurde, werden vielleicht einige
beginnen umzudenken. Damit dies aber geschieht, muss jeder Unfall so
verstanden und erklärt werden, dass kein Zweifel mehr besteht, dass
nicht doch der Hai daran schuld gewesen sein könnte. Die wahren
Ursachen zu Haiunfällen müssen publik gemacht werden und
genauso verbreitet, wie der eigentliche Unfall, denn nur wenn realisiert
wird, dass Haie nicht diese Tiere sind, wie sie immer noch in den Medien
präsentiert und von den meisten Menschen gesehen werden, haben wir
eine Chance, diese Tiere noch zu retten.
* Dr. Erich K. Ritter,
Chief Scientist, Global Shark Attack File, Shark
Research Institute, Princeton.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. E. K. Ritter
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