Bericht Shark Info
Am 26. Juni 1999 fand anlässlich der Jahresversammlung
der AES (American Elasmobranch Society) auch eine Sitzung der IUCN (World Conservation Union)
Shark Specialist Group (SSG) statt. Während dieser Sitzung sollte der Bedrohungszustand von
71 der insgesamt mehr als 460 Haiarten diskutiert und eine bereits vorbereitete Liste der bedrohten
Haiarten auf den aktuellen Stand gebracht werden. Ein Vertreter von Shark Info
war an diesem Meeting in Pennsylvania, USA, anwesend.
Warum wurde der Bedrohungszustand von nur 71 Arten, das sind
gerade 15% der rund 460 bekannten Haiarten, diskutiert? Ist dies auf fehlendes Detailwissen der
Haispezialisten zurückzuführen, da viele der restlichen 85% der Arten selten gefangen
oder untersucht werden? Oder auf mangelnde personelle und finanzielle Ressourcen, um das fehlende
Wissen zu erarbeiten?
Die Mitarbeiter der einzelnen Arbeitsgruppen, die die Liste
erarbeiten, stellen ihre Zeit und Arbeit kostenlos zur Verfügung. Es ist also nicht
erstaunlich, dass in einigen Bereichen Datenmaterial ganz fehlt oder das vorhandene Material
nicht immer vielschichtig und detailliert genug ist. So ist selbst ein von der IUCN definierter
Grad der Gefährdung mit gewisser Zurückhaltung zu betrachten.
Ganz allgemein wird der Fischerei ein höherer Stellenwert
beigemessen als der Biologie. Ist keine Abnahme der Art in der Fischerei feststellbar, wird sie
bezüglich Bedrohung niedriger eingestuft als wenn eine solche Abnahme bemerkbar ist. Eine
derartige, jedoch nur scheinbar logische Begründung, ist zwar nachvollziehbar, doch sollte
sie nur als Tendenz herangezogen werden, wenn es um Haie geht. Haifänge werden nicht in
Individuen pro Netzzug, sondern wie Ware in Tonnagen statistisch erfasst. Dass dies zu falschen
Schlüssen führen kann, und oft auch tut, ist naheliegend, denn die altersmässige
Zusammensetzung bleibt unberücksichtigt. So können beispielsweise 10 Junghaie genausoviel
wiegen, wie 5 ausgewachsene (siehe auch SI 2 / 99
«Requiem für die
Schillerlocke»).
1994 verabschiedete die IUCN eine Liste von Kriterien, nach der
alle Arten bezüglich ihrer Gefährdung eingestuft werden sollten. Insgesamt handelt es
sich um fünf Kategorien (A-E), die in 3 Gruppen unterteilt werden:
- kritisch bedroht (critically endangered)
- bedroht (endangered)
- gefährdet (vulnerable)
Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei nach der Veränderung
der Populationsgrössen und der Verbreitungsgebiete der Arten. Doch gerade für Haie stellt
sich hier das Problem, dass bei keiner Art eine effektive Populationsgrösse bekannt ist und auch
das Verbreitungsgebiet nur bei sehr wenigen Arten mit einer gewissen Genauigkeit festgelegt werden
kann. Entsprechend haben derart standardisierte Kriterien zumindest für Haie nur eine äusserst
beschränkte Aussagekraft.
Es stellt sich die Frage, warum für Haie, die immerhin
als häufigste Topräuber einen entscheidenden Regulationsfaktor für das Oekosystem
der Meere darstellen, keine spezifischeren Kriterien existieren, beziehungsweise ausgearbeitet
werden können. Zudem gibt es kaum eine andere Tiergruppe, die derart unterschiedliche
Lebensgewohnheiten, Verbreitungsgebiete und Fortpflanzungsstrategien hat, wie die Haie. Für
die verschiedenen Haiarten müssten, neben Populationsgrösse und Verbreitung, zusätzliche
Faktoren wie das Alter beim Erreichen der Geschlechtsreife, die Anzahl Nachkommen und die Bindung an
Geburtsstätten, um nur einige zu nennen, für den Bedrohungsgrad mitberücksichtigt werden.
Nur so kann verhindert werden, dass die eine oder andere Haiart aufgrund unzulänglicher
Informationen einen unbedenklichen Status erhält und in den nächsten Jahren an
den Rand des Aussterbens gebracht oder gar ausgerottet wird.
Ein solcher Aufwand scheint gering im Hinblick darauf,
dass wir es hier mit einigen Haiarten zu tun haben, die unserer uneingeschränkten
Aufmerksamkeit bedürfen - denn Aussterben ist für immer.
Beim IUCN Treffen erhielten vier der 71 gefährdeten
Haiarten den Status bedroht (endangered), es sind dies: Gangeshai (Glyphis gangeticus),
Speerspitzenhai (Glyphis glyphis), Weissflossen-Glatthai (Hemitriakis leucoperiptera)
und der Borneohai (Carcharhinus borneensis). Neun weitere Arten, unter ihnen der Weisse Hai
(Carcharodon carcharias) erhielten den Status gefährdet (vulnerable) und alle anderen
diskutierten Arten wurden als nicht wirklich bedroht angesehen und erhielten den Status geringes Risiko
(lower risk) oder ungenügende Daten (data deficient).
Erstaunlich ist, dass verschiedene Arten wie Heringshai
(Lamna nasus), Spinnerhai (Carcharhinus brevipinna), Schwarzspitzenhai
(C. limbatus), Düsterer Hai (C. obscurus), Sandbankhai (C. plumbeus),
Glatthai (Galeorhinus galeus), Flachnasen-Sechskiemenhai (Hexanchus griseus) oder
der Riesenhai (Cetorhinus maximus) zwei unterschiedlichen Kategorien zugeordnet wurden,
abhängig von der geografischen Verbreitung. Auch wenn die Argumentation, dass es nur in
gewissen Regionen zu Abnahmen der Bestände aufgrund der Fischerei kam, nachvollziehbar ist,
so handelt es sich doch um ein und dieselbe Art mit ihrem artspezifischen Verbreitungsgebiet.
Folglich müsste der Art ein eindeutiger Status zugeschrieben werden- im Zweifelsfall sollte
dies immer der kritischere sein.
Viele Haiarten treten zu selten auf, um in einer Statistik zu
erscheinen. Entsprechend werden auch in der «71er» Liste nur diejenigen Haiarten genannt,
die entweder einen Rückgang in den Fischereistatistiken zeigen, die, wie der Riesenmaulhai
(Megachasma pelagios), gerade erst entdeckt wurden, oder aber, wie der Gangeshai
(Glyphis gangeticus), bekanntermassen sehr selten sind. Viele Arten fallen so durch die
Maschen der IUCN.
Als die IUCN damit begann, den Bedrohungsgrad der Haie zu
quantifizieren erhielten Mitarbeiter von Shark Info den Aufruf, jede Art zu
beschreiben, bei der ein Verdacht auf Verminderung der Bestände bestehen könnte. Das Problem
liegt hier in der Fragestellung selbst. Denn gerade von sehr seltenen Arten ist fast nichts bekannt,
ausser dass es sie gibt. Doch gerade diese seltenen Arten, die fast nie in Fangstatistiken auftauchen,
sind durch die fehlenden Verbreitungs- und Populationsdaten nicht als gefährdet eingestuft, Status
ungenügende Daten (data deficient).
Zumindest für Haie müssen die IUCN-Kriterien so
umschrieben und angepasst werden, dass auch den seltenen Arten ein sofortiger Schutz garantiert
werden kann. Die Umsetzung des Schutzes ist dann allerdings ein weiteres Problem. Denn wenig
bekannte Haie sind für Fischer nicht leicht zu bestimmen. Nur hohe Strafen könnten sie
dazu veranlassen, prinzipiell jeden unbekannten Hai wieder zurück ins Meer zu werfen.
Wie bereits in der letzten Ausgabe von Shark Info beschrieben,
betrachtet es die FAO (Food and Agriculture Organisation) als unumgänglich, einen
weltweiten Bewirtschaftungs- und Beobachtungsplan für Haie ins Leben zu rufen. Leider
fehlt jedoch bis anhin die Möglichkeit eines sofortigen Interimsschutzes für gewisse
Arten. Bei einem begründeten Verdacht auf eine mögliche Gefährdung einer Art
müssen Wege gefunden werden, diese Art unbürokratisch und
innert kürzester Frist zu schützen, ohne Jahre mit bürokratischen Formalitäten
zu vergeuden.
Die IUCN oder «International
Union for the Conservation of Nature» wurde am 5. Oktober 1948 in Fountainbleau, Frankreich,
damals noch unter dem Namen «International Union for the Protection of Nature» (IUPN)
gegründet, später jedoch zu IUCN umbenannt. Heute wird sie einfach «World Conservation
Union» genannt. Sie ist die weltweit grösste Naturschutzorganisation und umfasst über
900 staatliche und nichtstaatliche Verbände aus mehr als 138 Ländern. Mehr als 8000
Wissenschaftler und andere Fachpersonen arbeiten auf freiwilliger Basis für die IUCN. Die
IUCN hat ihren Hauptsitz in Gland, Schweiz, unterhält aber 42 Geschäftssitze rund um
die Welt mit rund 900 Angestellten und einem jährlichen Budget von über 50 Millionen
Dollar. Als Vereinigung verschiedener Organisationen ist es der IUCN möglich, sowohl global
als auch auf kommunaler Ebene aktiv zu sein. Die IUCN umfasst verschiedene, spezialisierte
Arbeitsgruppen, wobei die SSG, die Shark Specialist Group, eine davon darstellt.
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Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info
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