Von Dr. Erich K. Ritter
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Die Flosse eines Weissen Hais durchschneidet das Wasser.
Ein Bild, das wir alle kennen und fürchten.
Doch der Hai ist nur neugierig.
© Hai-Stiftung
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Es scheint klar zu sein, dass, wenn ein Hai einen Schwimmer
oder Taucher umkreist, der Hai früher oder später auch angreifen wird. Wer kennt nicht
das berühmte Szenario der Rückenflosse, die die Wasseroberfläche kreisend
durchschneidet? Doch was hat es wirklich mit dem Kreisen als Vorbote eines Angriffes auf
sich - Tatsache oder Vorurteil?
Es ist ein Vorurteil. Haie kreisen nicht, um später
zu attackieren, sondern um sich ein Bild davon zu machen, was sich da vor ihnen im Wasser
befindet. Meinen eigenen vielen Beobachtungen zufolge ist es reine Neugier, und nicht verbunden
mit einem Fressreiz. Das Kreisen ist entsprechend auch nicht mit dem Einkreisen von Beute zu
verwechseln, sondern beruht darauf, dass die meisten Haiarten permanent schwimmen müssen,
um zu atmen, denn diese Haiarten können das Wasser nicht wie Knochenfische aktiv an ihren
Kiemen vorbeipumpen, um ihm den Sauerstoff zu entziehen. Bedenkt man weiterhin, dass sich der
Schwimmer oder Taucher im Vergleich zum Hai meistens fast nicht bewegt, bleiben dem Hai nur
zwei Verhaltensvarianten; entweder er kreist oder schwimmt in Form einer Acht - in
einer Auf- und Abwärtsbewegung - vor dem Objekt des Interesses hin und her. Kreisen hat
den Vorteil, dass der Hai nicht ständig die Schwimmrichtung ändern muss und dennoch
in konstanter Entfernung bleiben kann. Befindet sich das Objekt allerdings nicht im freien
Wasser, sondern zum Beispiel in einem Riff, kann er es nicht umkreisen, da sonst der Augenkontakt
unterbrochen werden könnte. In diesem Fall wird der Hai in der Achterbewegung vor dem Schimmer
oder Taucher hin und her schwimmen. Dabei wird er jedoch immer darauf bedacht sein, das freie Wasser
im Rücken zu haben.
Wie immer die Situation im Wasser auch aussehen mag, zwei
Dinge sind für den Hai entscheidend: Sicht und Flucht. Es liegt in der Natur der Haie - wie
auch anderer Raubtiere - sich immer einen Fluchtweg offen zu halten. Das ist im freien Wasser
sehr leicht, kann aber zwischen Riffen zum Problem werden. Entsprechend wirken Haie bei einem
Zusammentreffen im Riff aufgeregter und nervöser als in einer vergleichbaren Situation
im offenen Wasser.
Erfasst ein Hai ein interessantes Objekt mit den Augen,
dreht er bei und passt seine Schwimmbewegungen dem Objekt an. Diese Distanz wird oft auch als
der äussere Kreis des Haies bezeichnet. In diesem Fall ist das Auge der primäre Sinn,
unterstützt vom Ohr. Die Nase spielt dabei meines Erachtens eine untergeordnete oder gar
keine Rolle, obwohl der Geruch der primäre Auslöser gewesen sein kann, der den Hai
anlockte. Zum einen befindet sich der Hai beim Kreisen nicht immer in der Strömung, er
kann also nicht permanent Geruchsmoleküle empfangen, zum anderen sind die Augen und das
Gehör auf kürzere Distanzen genauer.
Verringert sich die Distanz beim Kreisen noch weiter, kommt
neben den Augen und dem Gehör noch ein weiteres Sinnesorgan zum Einsatz: das Wasserdruckorgan,
das als Seitenlinienorgan bezeichnet wird. Entgegen älteren Beschreibungen wirkt dieses Organ
nicht auf grössere Distanzen, wie es die Ohren für Schallwellen tun. Das Seitenlinienorgan
ist jedoch auf kurze Distanzen, rund eine Körperlänge des Haies, äusserst empfindlich
und präzise.
Ist ein Hai nahe am Objekt, meist in einer Entfernung von
vier bis fünf Metern, wirkt auch seine Schwimmweise weniger entspannt. Der Hai reagiert
nun vermehrt auf die Wasserdruckwellen, die vom Schwimmer oder Taucher ausgesendet werden und
passt seine Schwimmbahn stetig an. Dass ein Hai sich nun so nahe an das Objekt heranwagt, hat
nichts damit zu tun, dass er es gerne fressen möchte. Er möchte nur herausfinden, was
da im Wasser schwimmt. Die allermeisten Haie haben noch nie einen Menschen gesehen. Menschen
waren kein Bestandteil ihrer Evolution und Menschen sind auch keine Wasserlebewesen. Entsprechend
gibt es keine Möglichkeit für einen Hai zu verstehen, was ein Mensch ist. Menschen senden
jedoch, wie jedes andere Lebewesen auch, Gerüche und Schwingungen aus. Diese Gerüche und
Schwingungen erinnern den Hai möglicherweise an ein bekanntes Beutetier oder sie machen ihn
einfach neugierig auf das Unbekannte. Von seiner Grösse, dem Geruch und den Schwingungen her
passt der Mensch also ins Beutespektrum eines grösseren Haies, nicht aber sein Bild.
Wenn ein Hai aus grösserer Entfernung Geräusche hört,
oder auch eine Geschmacksspur aufnimmt, können ihn diese Reize durchaus an einen zappelnden Fisch
oder etwas anderes Bekanntes erinnern. Kommt der Hai jedoch auf Sichtkontakt näher, stimmt das
Bild des Schwimmers oder Tauchers in der Regel mit nichts überein, was er schon einmal gesehen
hat. An dieser Stelle muss man wohl auch die Verwechslungstheorie in Frage stellen, die vor allem in
den Medien ihre Kreise zieht. Dass ein Taucher oder Surfer für einen Hai wie ein Seehund aussehen
soll und entsprechend verwechselt wird, ist meiner und der Ansicht anderer Wissenschaftler nach
äusserst unwahrscheinlich. Dies kann für einen Menschen so aussehen, doch Haie haben
Sinnesorgane, die sich während Millionen von Jahren perfekt an das Wasser und die Jagd im Wasser
angepasst haben. Derartig leichtfertige Verwechslungen wären für Haie gefährlich und sind
deshalb äusserst unwahrscheinlich.
Bekannt oder unbekannt, wurde ein Hai aus der Entfernung durch gewisse
Signale angelockt und sieht er sich plötzlich etwas Unbekanntem - dem Menschen - gegenüber,
herrschen zwei Empfindungen vor, Neugierde und Fluchttrieb: Der Hai beginnt zu kreisen.
* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe
und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. Erich K. Ritter
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