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Shark Info   (15.10.1999)

Author

  Intro:

Das Kreisen der Haie

Dr. E. K. Ritter

  Hauptartikel:

Das Kreisen der Haie um vermeintliche Opfer

Dr. E. K. Ritter

  Artikel 1:

Was wissen Sie über die Gehirne und Nasen der Haie?

Dr. J. F. Morrissey

  Artikel 2:

Filmkritik: Deep Blue Sea

Shark Info

  Artikel 3:

Jährlicher Haikongress in Pennsylvania

Shark Info

  Artikel 4:

IUCN: Haischutz ohne Biss

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  Fact Sheet:

Bullenhaie

Dr. E. K. Ritter


Das Kreisen der Haie um vermeintliche Opfer

Von Dr. Erich K. Ritter

Flosse

Die Flosse eines Weissen Hais durchschneidet das Wasser. Ein Bild, das wir alle kennen und fürchten. Doch der Hai ist nur neugierig.

© Hai-Stiftung

Es scheint klar zu sein, dass, wenn ein Hai einen Schwimmer oder Taucher umkreist, der Hai früher oder später auch angreifen wird. Wer kennt nicht das berühmte Szenario der Rückenflosse, die die Wasseroberfläche kreisend durchschneidet? Doch was hat es wirklich mit dem Kreisen als Vorbote eines Angriffes auf sich - Tatsache oder Vorurteil?

Es ist ein Vorurteil. Haie kreisen nicht, um später zu attackieren, sondern um sich ein Bild davon zu machen, was sich da vor ihnen im Wasser befindet. Meinen eigenen vielen Beobachtungen zufolge ist es reine Neugier, und nicht verbunden mit einem Fressreiz. Das Kreisen ist entsprechend auch nicht mit dem Einkreisen von Beute zu verwechseln, sondern beruht darauf, dass die meisten Haiarten permanent schwimmen müssen, um zu atmen, denn diese Haiarten können das Wasser nicht wie Knochenfische aktiv an ihren Kiemen vorbeipumpen, um ihm den Sauerstoff zu entziehen. Bedenkt man weiterhin, dass sich der Schwimmer oder Taucher im Vergleich zum Hai meistens fast nicht bewegt, bleiben dem Hai nur zwei Verhaltensvarianten; entweder er kreist oder schwimmt in Form einer Acht - in einer Auf- und Abwärtsbewegung - vor dem Objekt des Interesses hin und her. Kreisen hat den Vorteil, dass der Hai nicht ständig die Schwimmrichtung ändern muss und dennoch in konstanter Entfernung bleiben kann. Befindet sich das Objekt allerdings nicht im freien Wasser, sondern zum Beispiel in einem Riff, kann er es nicht umkreisen, da sonst der Augenkontakt unterbrochen werden könnte. In diesem Fall wird der Hai in der Achterbewegung vor dem Schimmer oder Taucher hin und her schwimmen. Dabei wird er jedoch immer darauf bedacht sein, das freie Wasser im Rücken zu haben.

Wie immer die Situation im Wasser auch aussehen mag, zwei Dinge sind für den Hai entscheidend: Sicht und Flucht. Es liegt in der Natur der Haie - wie auch anderer Raubtiere - sich immer einen Fluchtweg offen zu halten. Das ist im freien Wasser sehr leicht, kann aber zwischen Riffen zum Problem werden. Entsprechend wirken Haie bei einem Zusammentreffen im Riff aufgeregter und nervöser als in einer vergleichbaren Situation im offenen Wasser.

Erfasst ein Hai ein interessantes Objekt mit den Augen, dreht er bei und passt seine Schwimmbewegungen dem Objekt an. Diese Distanz wird oft auch als der äussere Kreis des Haies bezeichnet. In diesem Fall ist das Auge der primäre Sinn, unterstützt vom Ohr. Die Nase spielt dabei meines Erachtens eine untergeordnete oder gar keine Rolle, obwohl der Geruch der primäre Auslöser gewesen sein kann, der den Hai anlockte. Zum einen befindet sich der Hai beim Kreisen nicht immer in der Strömung, er kann also nicht permanent Geruchsmoleküle empfangen, zum anderen sind die Augen und das Gehör auf kürzere Distanzen genauer.

Verringert sich die Distanz beim Kreisen noch weiter, kommt neben den Augen und dem Gehör noch ein weiteres Sinnesorgan zum Einsatz: das Wasserdruckorgan, das als Seitenlinienorgan bezeichnet wird. Entgegen älteren Beschreibungen wirkt dieses Organ nicht auf grössere Distanzen, wie es die Ohren für Schallwellen tun. Das Seitenlinienorgan ist jedoch auf kurze Distanzen, rund eine Körperlänge des Haies, äusserst empfindlich und präzise.

Ist ein Hai nahe am Objekt, meist in einer Entfernung von vier bis fünf Metern, wirkt auch seine Schwimmweise weniger entspannt. Der Hai reagiert nun vermehrt auf die Wasserdruckwellen, die vom Schwimmer oder Taucher ausgesendet werden und passt seine Schwimmbahn stetig an. Dass ein Hai sich nun so nahe an das Objekt heranwagt, hat nichts damit zu tun, dass er es gerne fressen möchte. Er möchte nur herausfinden, was da im Wasser schwimmt. Die allermeisten Haie haben noch nie einen Menschen gesehen. Menschen waren kein Bestandteil ihrer Evolution und Menschen sind auch keine Wasserlebewesen. Entsprechend gibt es keine Möglichkeit für einen Hai zu verstehen, was ein Mensch ist. Menschen senden jedoch, wie jedes andere Lebewesen auch, Gerüche und Schwingungen aus. Diese Gerüche und Schwingungen erinnern den Hai möglicherweise an ein bekanntes Beutetier oder sie machen ihn einfach neugierig auf das Unbekannte. Von seiner Grösse, dem Geruch und den Schwingungen her passt der Mensch also ins Beutespektrum eines grösseren Haies, nicht aber sein Bild.

Wenn ein Hai aus grösserer Entfernung Geräusche hört, oder auch eine Geschmacksspur aufnimmt, können ihn diese Reize durchaus an einen zappelnden Fisch oder etwas anderes Bekanntes erinnern. Kommt der Hai jedoch auf Sichtkontakt näher, stimmt das Bild des Schwimmers oder Tauchers in der Regel mit nichts überein, was er schon einmal gesehen hat. An dieser Stelle muss man wohl auch die Verwechslungstheorie in Frage stellen, die vor allem in den Medien ihre Kreise zieht. Dass ein Taucher oder Surfer für einen Hai wie ein Seehund aussehen soll und entsprechend verwechselt wird, ist meiner und der Ansicht anderer Wissenschaftler nach äusserst unwahrscheinlich. Dies kann für einen Menschen so aussehen, doch Haie haben Sinnesorgane, die sich während Millionen von Jahren perfekt an das Wasser und die Jagd im Wasser angepasst haben. Derartig leichtfertige Verwechslungen wären für Haie gefährlich und sind deshalb äusserst unwahrscheinlich.

Bekannt oder unbekannt, wurde ein Hai aus der Entfernung durch gewisse Signale angelockt und sieht er sich plötzlich etwas Unbekanntem - dem Menschen - gegenüber, herrschen zwei Empfindungen vor, Neugierde und Fluchttrieb: Der Hai beginnt zu kreisen.

* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. Erich K. Ritter



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modifiziert: 04.06.2016 11:48